Ersinnen und Spinnen

Ersinnen und Spinnen

KÜNSTLERIN:SPINNERIN – DEUFERT & PLISCHKE IN ARACHNES NETZEN BEI „PUSH AND PULL“

 Von Sabina Holzer

Das erste Ziel der Spinnerinnen ist das Überleben im Patriarchat, 
die Abschaffung der künstlich geschaffenen Subjekt-Objekt Spaltung 
und das Überschreiten der Widerstände, welches man als 
darüberhinausleben definiert. [1]


Spinnen und Weben gehören zu den ältesten Kulturtechniken und stehen für den Prozess der Herstellung von Garnen, Fäden und Stoffen. Fäden entstehen durch drehen, parallellegen, verziehen und mischen von Fasern. (Was an sich schon als wunderbare Handlungsanweisungen einer choreografischen Praxis gelten kann.) Spinnen und Weben sind Tätigkeiten, die meist Frauen zugewiesen sind. Während des Webens und Knüpfens werden diese gesponnenen Fäden zueinander geführt und verdichten sich in Zeichen und Muster, wie man es etwa in persischen Teppichen finden kann. Diese Muster und Zeichen sind Übersetzungen von Erfahrungen – oder besser übersetzte Spuren von Erfahrungen. Dieser Prozess der Übersetzung ist auch im Vorgang von Verschriftlichung zu finden. Text ist lateinisch und bedeutet „Gewebe“ und „Zusammenführung“. Texte und Gewebe sind also keine stabilen, einheitlichen Flächen oder Räume, sie vermitteln sich immer als etwas Zusammengeführtes, etwas mit Zwischenräumen. Sind Linien und Fäden, die zueinander gefügt oder gebogen werden und Schlingen und Schlaufen bilden. Texte und Gewebe sind Begriffe, die sich mit Zwischenräumen und Löchern befassen.

Kattrin Deufert und Thomas Plischke haben sich in ihrem neuen Projekt Emergence Room, zu erfahren während der Performanceserie „Push and Pull“ in einer Koproduktion von Tanzquartier Wien und MUMOK, gemeinsam mit Lilo Nein, Barbara Grein und Boyan Manchev mit dem Mythos der Arachne beschäftigt.

Arachne war im Weben und Spinnen so sehr bewandert, erzählt die griechische Mythologie, dass sie aus Über- und Hochmut die Göttin Pallas Athene zu einem Wettkampf herausforderte. Arachne erzeugte ein vollkommenes Gewebe, in dem sie auch die Gewalt, welche die Götter gegenüber den Menschen ausübten – oft in Form von Vergewaltigungen – thematisierte. Sie kritisierte die bestehende, anerkannte Ordnung. Pallas Athene war voll Zorn und Neid und zerschnitt Arachnes Werk. Diese wollte sich sogleich das Leben nehmen, wurde aber von der Göttin in eine Spinne verwandelt, um in aller Ewigkeit an einem Faden hängend zu spinnen.

Der Emergence Room von deufert & plischke entfaltet sich innerhalb einer Plastikplane, die spiralförmig aufgestellt ist. Betritt man den Raum, kann man gleich zu Beginn die Geschichte von Arachne lesen. Und: „The association of gods with stable qualities is a late invention and in inconsistence with their inconsistent nature“  und „The inconstence of Gods: desire, fury, pure forces, pure passion. … Gods, the infinite monsters, laugh at human beings and play with them like toys. Their favorite toy is the human body. Gods like to seduce. They despise humans but enjoy their flesh.“ [2]

Monströses, unheimliches Versprechen
Folgt man den Linien – oder Fäden – dieses Mythos, zeigen sich die wesentlichen Grundmotive, die deufert & plischke in den vergangenen zehn Jahren in ihrer Arbeit wieder und wieder formuliert  haben: Erzählung, Fiktionalisierung, Archivierung, Formulierung und Umformulierung der Frage: Wie bewegt man sich jenseits der üblichen, jedoch normativen Konzepte von Anatomie, Geschlecht und Sexualität? Wie entwirft man einen Ort für das, was diesem Rahmen entflochten ist, für das Abwesende? Auch das Stricken ist ein Teil ihrer Arbeit: Löcher mit Löchern durch Schlaufen zu verbinden, Verlust, Trauma und entfernte Erinnerungen in ein Gewebe aus Mythen und gemeinsamen Geschichten einbinden und so einen Ort der Trauer, des Gedenkens zu entwerfen. Dies bedeutet auch die kontinuierliche Formulierung und Umformulierung der eigenen Arbeit, um wach zu bleiben, um vorgeschriebenen Mustern zu widerstehen und die Identität aufs Spiel zu setzen. [3]

Wieder ist die Geschichte einer Frau die Vorlage, die sich in ihrer handwerklichen Kunstfertigkeit – es sind nicht Verführungskünste und Liebesdienste – mit einer Göttin messen möchte. Der Preis für diese Selbstüberhebung ist eine Methamorphose, die Verwandlung in eine Spinne. Sinnbild für das Andere, ein monströses, unheimliches Versprechen einer anderen Ordnung, göttlich und tierisch zugleich.

In der ersten Biegung des Raumes liest man neben dem Zettel mit dem Arachne-Mythos: „Nehmen Sie sich Zeit. Nehmen Sie sich ernst. Nehmen Sie sich ein paar Karten.“ Auf Karten in Weiss, hellem Gelb und hellem Blau können BesucherInnen ihre Gedanken, Assoziationen, Fragen und Erinnerungen aufschreiben und sie den verschiedenen Stationen beisteuern. Auf der einen Seite hängt eine „Arachne Map“: Mythos:Sage, Glanz:Kontingenz, Handlung:Metamorphose, Mutter:Spinne, Unglück:Aporie, solcherlei Wortpaare (von Marcus Steinweg) bieten Anknüpfungspunkte, um eigene Gedanken zu spinnen. Auf der Karte gibt es einige rote Fäden, mit denen die unterschiedlichen Worte miteinander verbunden werden können. Daneben ist eine Tafel von Lilo Nein positioniert, mit verschiedenen Fotos von Werken von KünstlerInnen wie Annette Messager, Eva Hesse, Louise Bourgeois, Carolee Schneemann, Laurie Anderson, Rosemarie Trockel, Stelarc, Rudolf Schwarzkogler, in denen eine inhaltliche Verwandschaft zu finden ist.

„Arachnophobia is the fear of the female cosmos“, heisst eine andere Station. Man linst durch einen Diabetrachter, wie durch ein Guckloch in der Wand zu etwas Geheimnisvollem, Verbotenem, Abenteuerlichem, – einen anderen Raum – und sieht eine grosse schwarze Spinne. [4] Um diese Gläser hängen rote Wollfäden, die mit etwas Abstand und Blinzeln aussehen wie Gesichter oder witzige, mit Haaren umgebene Vaginas, oder Spinnen mit zu vielen Beinen.

Sorgfältig gespannte Fäden
Der Raum ist eine wunderbare Einladung, sich zu verstricken und angeregt von Mythen und Fiktionen seinen eigenen Gespinsten zu begegnen. Der alltägliche Gebrauch der Worte spinnen, weben und stricken weist auf andere Texturen, als solche einer rationalen und logischen Konstruktion. Zudem gibt es auch Möglichkeiten tatsächlich handwerklich tätig zu werden. Man kann zum Beispiel kleine, viereckige Flächen mit Worten, Figuren oder was einem gerade einfällt besticken. Oder sich zu Frage: „How to knit your own political body“ mit einem Strickzeug niederlassen und über Kopfhörer dem Philosophen Marcus Steinweg zuhören, wie er seine Fäden durch Philosophiegeschichte  über das Versprechen der Realität, ihre Inkonsistenz, Löcher und Gewebe, Schleier und Netze zieht. Es sind Erzählungen vom Feinsten. Auch die Einladung mit jemandem „cat cradle“ zu spielen, kann angenommen werden. Ein Spiel, viele kennen es aus der Kindheit, bei dem man zu zweit verschiedene Muster mit einem Faden konstruiert, der einer Person um beide Hände gewickelt ist.

deufert & plischke haben einen intimen, öffentlichen Raum gestaltet, in dem sich das Versprechen eines Emergence Room (emergence: aufkommen, auftauchen, erscheinen, hervortreten, sichtbar werden) beinahe von selbst einlöst. Die Fäden aus europäischer Kulturgeschichte, Mythologie, Fiktionen, Stichworten, die zudem eine körperliche Resonanz haben, sind sorgfältig gespannt. Die Aufforderung während der Anwesenheit im Raum nicht zu sprechen hilft diesen Wahrnehmungen. Ehe man sich’s versieht, ist man schon Teil dieses Netzes.

Die Einladung, sich an der Auseinandersetzung intellektuell und praktisch zu beteiligen, trivialisiert den Raum im besten Sinn. Denn oft formulieren sich kurze Gedankenblitze und Assoziationen auf die Karten gekritzelt, die sich mit dem komplexen ausgelegten Netz verknüpfen. Sie gestalten eine Vielfalt, aktualisieren den griechischen Mythos und spinnen ihn weiter. Das Handarbeiten, das tatsächliche Stricken und Sticken führt direkt aus dem funktionalen Alltag, in die Kindheit oder dorthin, wo die Zeit einen anderen Rhythmus hat.

So entsteht ein Raum außerhalb des Raumes, der unablässig in Bewegung, stets zu erschaffen ist. Mit stets abwesender Zeit, die nur im Hinblick auf das noch kommende Werk existiert, das stets in der KünstlerIn auf der Suche nach sich ist. Und dieser seiner KünstlerIn begegnet hier jeder, der oder die sich auf den Raum einlässt. Das Wort Erfahrung ist hier das Wichtigste, verstanden als das, was der Realität dessen, was empfunden wird, entgeht. [5]




Fußnoten:
[1] Mary Daly, Philosophin und Theologin, 1928 – 2010.
[2] Aus der Textbeilage: The Myth of Arachne (Based upon Ovid’s Metamorphoses).
[3] Jeroen Peeters, http://www.sarma.be/text.asp?id=1288
[4] Deren Abbild zur Zeit mit den Worten „Macht der Angst. Wie ein Urgefühl den Menschen lähmt – und beflügelt“ auch der Titel des aktuellen Nachrichtenmagazins Der Spiegel (41/2010, 11.10.2010) ist.
[5] Vgl.: Maurice Blanchot: Museumskrankheit. Das Museum, die Kunst, die Zeit. Köln: Wilfried Dickhoff Verlag, Köln 2007, S.71.


(18.10.2010)