Differenz und Teilhabe

MARIA HASSABI UND ROBERT STEIJN SIND „ROBERT AND MARIA“


Von Mario Sud

Zwei Menschen und eine kleine Ewigkeit von 60 Minuten. Sie stehen einander gegenüber, in einem Abstand von vielleicht einem halben Meter. Sie doch recht klein und zart, zumindest neben ihm, groß und kräftig. Anfangs, allein schon in dem Unterschied von Größe und Körpervolumen, potentielle Spannungen, potentielle Dynamiken, die sich über die Dauer in minimalen Gewichtsverlagerungen artikulieren, im kaum merkbaren Anheben des Brustkorbs des einen, dem Knie- und Rückenbeugen der anderen zum Beispiel. Und immer Aug in Aug. Eye to eye. I to I. Zwei Ichs stehen sich da gegenüber und nehmen Kontakt auf. Dieser Kontakt verändert das Ich. Biegt es, beugt es, streckt es, stärkt es, schwächt es, tröstet es, führt es in die einsamste Einsamkeit (denn niemals ist man so allein, als man es mit anderen sein kann). Versichert sich der Anwesenheit des Anderen, nur durch eine Berührung mit der Hand, die sich für eine Weile auf die Schulter des Anderen legt und dort zur Ruhe kommt. Die Bewegung einer halben Drehung, des Zubodengehens, des Kopfablegens teilend, wie die Umarmung am Anfang und am Ende dieses Zeitraums.



Sich Arm in Arm nebeneinander zu stellen und mit dem Rücken zum Publikum den Raum zu betrachten, als Hinweis auf ein Gemeinsames. Auf eine Gemeinschaft, die eine Gemeinschaft von Liebenden sein könnte, aber nicht sein muss. In jedem Fall ist es eine Zuneigung, die gezeigt wird, eine Freundschaft als Vorhut und als Echo eines Miteinander. Eines Miteinander, das von Maria Hassabi und Robert Steijn mittels einer Distanz und als Abstand gezeigt wird. Sie betrachten einander und bleiben in der gegenseitigen Betrachtung in Berührung. Der Blick ist hier nicht Überblick, platziert sich nicht ausserhalb eines Systems, um zu kommentieren, zu projizieren, zu unterwerfen und zu herrschen. Der Blick ist Teil der Berührung, Teil des Verhältnisses, Teil des Mitteilens, das sich in der körperlichen Resonanz zwischen den beiden Performern hin und herbewegt und sich so dem Publikum mitteilt. Keine Verschmelzung, kein Streben nach Einheit, sondern Differenz und Teilhabe an diesem Miteinander. Innerhalb dieser einfachen Bewegung des Hinlegens und Aufstehens tritt über die Dauer die Komplexität von Beziehungen in Erscheinung.



„Small dance“, sagt Steve Paxton


Die Dauer hilft, die Zeit zu materialisieren. Und in dieser Entschleunigung wird hier der Körper nicht von der Empfindung getrennt, die Praxis nicht von der Darstellung. „Physical work is about the finding the acceptable speed of your partner, is about finding the movement, finding the special specialness. Finding the particularity, which is so small, that it is almost slipping away. And sensing them almost at the lowest point of your perceptual concentration“, sagte Steve Paxton und beschreibt den Körper in seiner Wahrnehmungsmöglichkeit. „I regard the ,small dance‘ as the reflexes that adjust everything to keep you upright. The event is so normal, so frequent, and so small that we ignore it. As a generality, the senses pick up new material, unusual stuff – small or large – within their range. The average, normal, lumpen quality of the walking, for instance, is really a barrier to understanding. When you can look at something and say, ,Oh, that’s just old stuff; that’s just old walking,‘ or ,That’s just old whatever,‘ it means your brain has stopped asking questions. There’s absolutely nothing that should go unquestioned or that could be questioned without deriving material from it.“



„Zeit ist Geld“, so sagte Benjamin Franklin schon im 18. Jahrhundert, und wir folgen bis heute diesem Spruch und tun unser Bestes, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Wieso eigentlich? Und wieso gibt es anscheinend diese gesellschaftliche Einigung, dass aus Verhältnissen und Beziehungen Dienstleistungen gestaltet werden? Wem dient diese Leistung? Warum wird Begreifen nur noch in Begriffen gehandelt? Hat das mit Denken zu tun oder eher mit dem Weitergeben und Gestalten von Information? Kann Information einfach weitergegeben werden? Kann man sich an einem System einfach beteiligen, ohne an ihm Teil zu haben? Was passiert mit dem Material? Was geschieht mit dem Körper?



Robert and Maria zeigt der oder die Einzelne im Wesen als treibende Kraft einer Handlung und zugleich als Stoff, an dem sich die Handlung offenbart. Hier wird ein Raum eröffnet, der sich nur scheinbar von der Kategorie der Staatlichkeit und Ökonomie unterscheidet. Es ist ein Raum, in dem sich Politik durch die Existenz eines Subjekts bestimmt, welches sich durch die Partizipation an Gegensätzen definiert. 


(27.8.2011)