Something for the heart

Sabina Holzer, Tanzquartier Magazin
Something for the Heart / Algo para el corazón.
Eine Performance von Deborah Hazler & Macarena Campbell

Als ich den in rosa Licht getunkten Raum mit seinen schwingenden Körpern verlasse, haben die Bilderfluten und Geschichten von Liebe und Freundschaft, die tagtäglich auf uns einströmen, die gesellschaftlichen Inszenierungen und visuellen Sexualisierungen, mit denen unser Begehren gelockt und unsere Sehnsüchte manipuliert werden, nur noch ein leises Echo.

Roland Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ kommt mir in den Sinn. Mit seinen bruchstückhaften, alphabetisch geordneten Zuordnungen der Liebe, gespeist aus Literatur, Philosophie und eigenen Erfahrungen. Mit den verschiedenen Facetten von Nähe und Distanz, die er thematisiert. Wissend um die ständige Angst des Verlassenwerdens, des Verlassenseins lenkt er doch die Aufmerksamkeit auf die Spiel- und Entscheidungsmöglichkeiten in Beziehungen. Mit liebevoller Ironie, diese existenziellste Berührung mit dem anderen, die uns in die tiefste, finsterste Nacht entlassen kann, niemals missachtend, lotet Barthes Empfindsamkeiten aus.
„[…] der Diskurs der Liebe ist heute von extremer Einsamkeit“, schreibt er im Vorwort zu diesem Buch 1977. Und weiter: „Dieser Diskurs wird wahrscheinlich (wer weiß?) von Tausenden von Subjekten geführt, aber von niemandem verteidigt; er wird von den angrenzenden Sprachen vollständig im Stich gelassen: entweder ignoriert oder entwertet oder gar verspottet, abgeschnitten nicht nur von der Macht, sondern auch von ihren Mechanismen (Techniken, Wissenschaften, Künsten). Wenn ein Diskurs, durch seine eigene Kraft, derart in die Abdrift des Unzeitge mäßen gerät und über jede Herdengeselligkeit hinausgetrieben wird, bleibt ihm nichts anderes mehr, als der wenn auch winzige Raum einer Bejahung zu sein.“[1]

Bevor ich die Vorstellung besuche, höre ich auf Ö1 ein Interview von Deborah Hazler und Macarena Campbell zu ihrer neuen Arbeit: „Zu erlauben, dass eine andere Person dir nahekommt, dass sie sich öffnet, dass du dich öffnen kannst, das ist es, was wir miteinander geteilt haben, und das ist es, was wir versucht haben, nach außen hin als Anreiz zu geben. Also in meiner Illusion gehen die Menschen nach draußen und denken sich: Ach, morgen werde ich mich jemandem öffnen“, sagt Deborah Hazler. Und wir wissen alle, dass das nicht so leicht ist. „Es gibt genug herrschende Vorurteile. Wenn wir uns dem Körperkontakt öffnen, dann meistens als Paar- oder Eltern-Kinder-Beziehung. Aber wie berühre ich eine Freundin?“, fragt Macarena Campbell.

In Something for the Heart geht es also um Berührungen, welche die beiden Frauen ausgelotet haben. Sie sind, wie sich in ihrer performativen Versuchsanordnung[2] zeigt, so etwas wie eine körperliche „mobile Prozessualität“[3]. In Zeiten von Digitalisierung und #MeToo-Debatten richten Deborah Hazler und Macarena Campbell die Aufmerksamkeit auf diesen scheinbar winzigen Raum, in dem eine Berührung zustande kommt. Man/Frau – alles – muss sich rühren, um zu berühren, um in Kontakt zu kommen. Und dieser ist, wie sich hier zeigt, im Wesentlichen ein Zustand, aus dem etwas entsteht bzw. entstehen kann.

Vor dem Einlass werde ich im Foyer informiert, dass ich – nur wenn ich will – meine Schuhe ausziehen, mich auf den Boden setzen und auch meine Position verändern kann.
Der Raum ist in rosa Licht getaucht. Auch am Boden liegen rosa- und hautfarbene Kissen in unterschiedlichen Größen, auf denen sich die Besucher_innen niederlassen können. Einige Stühle stehen herum. Es ist möglich, den Platz selbst zu wählen. Deborah Hazler und Macarena Campbell sitzen am Boden. Beide in hellgrauen T-Shirts und Jeans mit einem großen glitzernden Folienherz um ihre Gesichter. Die vordere Seite der Herzen ist silbern, die hintere rot. Blütenköpfe. Ihre Körper vibrieren leicht.
Dieses Vibrieren setzt sich fast die ganze Performance hindurch fort. Wird zum Schwingen, Schütteln, Zucken, Zappeln, Schaukeln und Wiegen. Andauernde Vor- und Rückwärtsbewegungen, Mikrobewegungen. Gewichtsverlagerungen, ohne jemals den Halt zu verlieren oder zu fallen. Ein dauerndes sanftes Verschieben von Grenzen, aus denen Handlungen und Annäherungen entstehen. Herzschlag in Bewegung gebracht. Herzflügel.

Gemeinsam und doch jede für sich in ihrem Rhythmus richten sich die beiden Frauen auf und begegnen einander. Nähern sich an. Stirn an Stirn erst, bis sich die Gesichter zueinander pressen. Sich das Gesicht in der Herzumrahmung der anderen spiegelt. Mit dir will ich sein, hin zu dir. Mit dir, um Selbst zu werden. Lieben dich, um mich selbst zu finden. Dich lieben und dabei nur mich selbst sehen. Reflexionen in spiegelnden Herzen. Im Strahlen des anderen, der anderen. Die ich spüre. Die mich spürt. Berührt. Anrührt. Mich in Aufruhr versetzt. In diesem Zueinander, diesem – fast – Durcheinander. Diesem etwas ungeschickten Versuch eines Ineinander. Zwei Körper immer mehr in Berührung. Ganzkörperkontakt. Die Oberkörper pressen sich ineinander, die Beine verhaken sich. Als wollten sie durch den Anderen, ineinander. Trotz des gleichwertigen Aufeinanderzustrebens bleibt der andere Körper undurchdringlich. Du setzt mich meiner einsamsten Einsamkeit aus. Arme und Hände greifen nicht, begreifen nicht, können nicht fassen, halten nicht fest. Wissen nicht mehr als der restliche Körper, der sich zum anderen dehnt. An den anderen lehnt. Eine Umarmung mit ausgestreckten Armen. Es ist die Haut, die tastet, auslotet, erkennt. Sie navigiert entlang der Spannungen, des Drucks, des Rhythmus. Ein Kräftemessen, um endlich langsam gemeinsam in die Knie zu gehen. Zu sinken. Sich ineinander sitzend einem Reigen hingeben. Einem wiegenden Körperwesen hingeben. Einem „Aus zwei mach eins“ hingeben, so scheint es. Pulsierende Ruhe.
Aus der sie sich voneinander lösen. Diese Herzpflanzen. Sich anderen zuwenden: uns, den Zuschauer_ innen. Nicht aufmerksamen Blicks, eher aufmerksamen Körpers wenden sie sich uns zu. Geben ihre Herzaureole an uns weiter.

Das ist überraschend, und wir sind etwas verlegen. Was tun mit einem dargebotenen Herzen? Es wird weitergegeben mit scheuem Lächeln, das glitzernde Herz. Wir trauen uns (noch) nicht, uns hier damit zu schmücken, in diesen Reigen einzutreten, in dieses feine Spiel. Und sind doch, ganz unspektakulär, eigenartiger Teil dieses Schwingens geworden. Achtsame Beobachter_innen von diesen fließenden, ruckelnden Versenkungs- und Näheversuchen der Performer_innen.

Was geschieht mit der Welt?

Wurde sie vergessen in diesem Rosa? Diesem Einanderzuwenden? Diesem unendlichen Blick, dem sie sich schenken, mit dem sie sich berühren, bevor es von Neuem beginnt. Die Begegnung. Die Neigung. Das Sinken. Der Kopf in der Halsgrube der anderen lie- backwagend, als wäre es ein Traum, ein Denken vielleicht, eine Ahnung, eine Möglichkeit, eine Variation von Kontakt. Von Liebe, Freundschaft, Herzensangelegenheiten. Von Einverständnis und Gleichwertigkeit. Eine Begegnung, die, einmal begonnen, eine niemals endende Abfolge wird. Jedes Mal wird eine Schicht abgegeben, löst sich, gibt sich in die Welt. Wird weitergegeben. Lässt Welt entstehen. So wie hier, wo die Aufmerksamkeit glücklicherweise einmal woanders hingelenkt wurde als zur Macht und zu ihren Klischees.