COLETTE SADLERS KÖRPER ALS SCHAUPLÄTZE MONSTRÖSER GESELLSCHAFTS- UND SUBJEKTVERHÄLTNISSE?
Von Sabina Holzer
Die Welt von Colette Sadler ist von elektronischem Sound durchdrungen. Es sind 6 Figuren zu sehen. Sie alle tragen Oberteile mit Kapuzen. Sie geben sich (anfangs) nicht zu erkennen. Sind mit dem Rücken zum Publikum gekehrt, werden als gesichts- und blicklose Wesen präsentiert. Sie eilen in verrenkten Bewegungen über die Bühne, heben sich gegenseitig auf und transportieren einander durch den Raum. Schnelle, effiziente, unsentimentale Handgriffe, combiniert mit Ausrufen – oder sind es Befehle? – wie: „One! Jump! Kick! Throw!“ oder „Begin again“, die zu Gruppentableaus führen. Die 6 Kapuzenwesen setzen sich in einer Reihe zusammen, sprechen kurz in einer Cartoonsprache miteinander und legen sich übereinander, wie groteske tote Leiber; sie bauen mit sich und roten Plastikstühlen einen Turm und bilden Duette, in denen die Figuren einander umarmen und an den Händen halten. Im Hintergrund stehen zwei etwa 2 Meter 50 große, leicht zerdrückte Kartonparavents.
Die Welt von Colette Sadler ist ein eigenartig namenloses Wasteland. Eine androgyne Zone. Denn: in ihrer Welt scheinen Menschen und Puppen, Subjekte und Objekte, geschlechtslos und (somit?) gleichgestellt zu sein. Zwei von den sechs Figuren sind Stoffpuppen.
Was können wir tun?
Vor allem im ersten Teil ihres Stücks „The making of doubt“ sind es die Puppen, die in ihrer Biegsamkeit und der Art, wie sie den Gesetzen der Schwerkraft folgen, die Vorlage für das Bewegungsmaterial der TänzerInnen dienen. Eva Baumann, Maxwell Mc Carthy, Sybille Müller und Jara Serrano Gonzales / Nefeli Skarmea [1] meistern die Imitation geschickt. Sie überlassen sich wie willenlos den Manipulationen der anderen, sinken in grotesken rhytmischen Verrenkungen zu Boden, schleifen und schlurfen über die Bühne. Was können wir gemeinsam tun?, scheinen sie zu fragen, wir, die wir einander so ähnlich sind. Sie packen die Puppen. Sie packen einander. Das Publikum weiss nicht, wer ist wer, und lächelt über diese zielgerichteten Marionetten mit ihrer trickreichen Ungeschicktheit.
Die Puppe selbst ist spätestens seit der Romantik eher als weiblich als männlich konnotiert. Das Spielen mit Puppen ist auch heute noch meist ein Spiel von und unter Mädchen. In der Verknüpfung mit dem Automaten ist eher die männlich konnotierte Faszination der Maschine zu finden. Als „objet trouvé“ kann die Puppe Projektionsfigur sein, um Repräsentation, Medialität und Wahrnehmung zu thematisieren. Auch als lebendige (oder auch tötende und getötete) Androide und den Bedrohungen, die jeweils von ihr/ihm ausgehen. [2]
Auffallend in der von Colette Sadler gezeigten Welt ist, dass dem Umgang mit dem eigenen und anderen Körper, mit Leib und Objekt, eine beinahe lästige Notwendigkeit anhaftet, worin auch das potentiell Unheimliche der Arbeit liegt.
Es wird kein wie auch immer geartetes Wunsch- oder Ebenbild auf die Puppe projiziert oder die Beseeltheit der Puppe in Zweifel gezogen; es wird mehr eine unterschwellige Angst vor dem Verlust einer klaren Subjektposition thematisiert, mit der man/frau sich in gewisser Weise schon abgefunden hat. Dieser Verlust der klaren Position bzw. Identität wird schließlich von (dem einzigen Mann) Maxwell Mc Carthy im Ensemble am deutlichsten in Szene gesetzt: Die Sequenz beginnt mit einer Synchronierung von Sprache und Aktion. Er sagt: „I sit down.“ Und setzt sich. Er sagt: „I stand up.“ Und steht wieder auf, „I turn my head.“ „I turn the chair.“ Und vollzieht die jeweiligen Handlungen. Sind es Beschreibungen oder Befehle? Die Aussagen werden schneller, und die Sprache verhakt sich ineinander. Sie löst sich von der eigenen Handlung und wird auch von anderen Tänzerinnen ausgeführt. „I“ wird zum Anderen, wird zu „chair“, „down“ wird zu „up“, „sitting“ wird zu „standing“. Das Subjekt, aufgelöst im Anderen, wird benutzt und gebannt in der Maschine einer marionettenhaften Puppe. (Kleist wollen wir heute hier an dieser Stelle nicht erwähnen.)
Der dritte Arm und die Prothese
Währenddessen verschwinden die TänzerInnen eine nach der anderen mit den Puppen hinter die Paravents aus Karton. Diese Paravents beginnen sich nun ihrerseits zu biegen und über die leere Bühne zu schieben. Nach einiger Zeit tritt eine Tänzerin nach der anderen wieder hinter dem Paravent hervor. Der ersten sind die Arme mit den Ärmeln eines orangen Pullovers zu einem Ring verbunden. Die Hände sind nicht sichtbar. Ein dritter Arm inklusive Hand kommt plötzlich aus dem dem Oberkörper hervor. Dieser Körper hat drei Arme! Auch dem nächsten Tänzer sind drei Arme gewachsen, der nächsten Tänzerin sogar drei Beine und der darauffolgenden auch. Sie beschäftigen sich mit der Koordination dieses nun offensichtlich fremd gewordenen Körpers, exerzieren ihn, erforschen ihn. Der Körper, der in dieser Welt nie der eigene war, mutiert nochmals zum bizarren Objekt. Es sind witzige Effekte und Bewegungsstudien, die da mit etwas starrer Erstauntheit ausgeführt werden. Bis sich die Tänzerinnen, leider wieder eine nach der anderen, die Kleider ausziehen und die fleischfarbenen Stoffprothesen sichtbar werden.
Der Begriff des Monsters ist nicht zufällig mit dem Wort demonstrieren verwandt: Monster zeigen. In dem Versuch, mit dem Hybrid Mensch-Objekt, beziehungsweise Mensch-Maschine umzugehen, entwickeln die Darstellerinnen eine roboterähnliche, fremdbestimmte Anwesenheit. Die Materie, das Materielle und das heißt hier nicht unbedingt, das Menschliche hat sich verselbständigt. Das „Andere“ ist Teil des „Eigenen“, Subjekt und Objekt formulieren sich nicht mehr als Gegensätzliches und Unvereinbares.
Ist das ein Spiel?
Den vier androgynen und hybriden Wesen mit fünf Gliedmaßen werden in dieser Welt postdramatischer Ästhetik mit spezifischen Bewegungsmaterial, einem feinen, ausgefeilten Sound- und Lichtkonzept (Zoviet France und Florian Bach) keine weiteren Bezugsysteme eröffnet. Ist es ein Spiel? Worum geht es eigentlich? Um ein Vorführen von Effekten? Sind diese Körper Schauplätze monströser Gesellschafts- und Subjektverhältnisse? Oder können Mutationen und Anormalitäten auch als lustvolle, alternative Möglichkeiten den Umgang miteinander erweitern?
Judith Butler versteht die Materie der Körper als die Wirkung einer Machtdynamik, sodass die Materie der Körper nicht zu trennen ist von den Normen, die ihre Materialisierung beherrschen. Für sie ist Performativität nicht der Akt, durch den ein Subjekt dem Existenz verschafft, was es benennt, sondern das Inberührungkommen mit den Phänomenen, die regulativ eingreifen. In der Auflösung des Subjekts – wie zum Beispiel durch das Bearbeiten der Dichotomie von Subjekt und Objekt in „The making of doubt“ – entsteht eine „unbewohnbare“ Zone des sozialen Lebens. [3] Diese Zone mit Androgynen zu besetzen, könnte einen anderen sinnlichen Raum eröffnen. Wobei „androgyn“ zweigeschlechtlich bedeutet, also männliche und weibliche Merkmale vereinend, die Puppe aber eher geschlechtslos oder asexuell ist. Also: Wer oder was könnte dann performen?
Fußnoten:
[1] Leider gibt es über diese Angabe von zwei Namen sowie über die Lebensläufe der Tänzerinnen im Programmheft keine weiteren Angaben.
[2] vergleiche Medien Kunst Netz | Cyborg Bodies | Puppen-Körper
[3] Vergleiche Judith Butler: Körper von Gewicht, Frankfurt am Main:Suhrkamp Verlag, 1997,
S.23.
(23.7.2009)