Linien und Körper zeichnen und löschen

OLEG SOULIMENKOS „EASY COME, EASY GO“ IM TANZQUARTIER WIEN
Von Sabina Holzer

Pantomime kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich: alles nachahmend. Sie war im 18. Jahrhundert ein populäres Gegenstück zum höfischen Ballett. Bereits 1757 hatte Diderot die enge Beziehung zwischen Malerei und Pantomime festgestellt: „Mit der Pantomime bedient sich der Dramatiker der Ausdrucksmöglichkeit des Malers.“ [1]



Heute könnte man das vielleicht als eine postdramatische Illustration bezeichnen, die eine durch die Medien vermittelte, vordergründige Ausgelassenheit nachäfft und hinter der eine gewisse Melancholie und Einsamkeit wahrnehmbar ist. Befindlichkeiten wie Resignation, Rebellion oder Trauer, die Wünsche nach Lebensintensität und Glück werden, den visuellen Eindruck nachahmend, als Körper-Bilder repräsentiert.
Oleg Soulimenko bezieht sich in seinem neuen Stück „Easy Come, Easy Go“, das am 27. Januar im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde, auf Kabarett und Cartoon und inszeniert eine Art Comic-Strip. Choreografie wird hier zur bunt wechselnden, unterhaltenden Pantomime und referiert zugleich auf artistische, tänzerische und musikalische Darbietungen, die im Ausstellungscharakter eines Varietés mosaikartig zusammengesetzt sind.

Die Bühne wird als Black Box genützt. Der schwarze Tanzboden ist mit einer zusätzlichen weißen, quadratischen Fläche in der Bühnenmitte überlagert. Sie ist das Spielfeld. Vorne am Bühnenrand liegen vier Mikrofonkabel fein säuberlich gerollt. Die vier Performer (Magdalena Chowaniec, Thomas Kasebacher, Elisabeth Bakambamba Tambwe mit Oleg Soulimenko) kommen von der Tribüne und springen als lustiger Haufen in fein abgestimmter Alltagskleidung auf die weiße Fläche, um kurz in Posen innezuhalten.
Sie zeichnen mit dicken schwarzen Filzstiften ein Bühnenpodest, das fast zwei Drittel der Spielfläche einnimmt.

Voilà: We are here to entertain you!

Und das tun sie. Und zwar mit Hilfe von Objekten: einem grüner Wollknäuel, einer Holzstange, einem Handstaubsauger mit Schlauch, einer stehengebliebenen Uhr, einem Ikea-Katalog. Der Wollknäuel wird zum Ball, zum Kopf, zum Buckel; die Stange zum Kampfstab, zum sich aufrichtenden und sinkenden Stecken zwischen den Beinen; die Uhr zum Gesicht; der Ikea-Katalog zum zerdrückten, durchgeblätterten Geschlecht. Die Performer lassen sich allerlei mehr oder weniger Witziges mit den Objekten und miteinander einfallen.

Es ist ein wiederkehrendes Sujet aus Cartoons, Clownerie und Mimenspiel, sich mit Hilfe von schnell und einfach gezeichneten Linien ein Objekt zu erschaffen, um sich aus einer (meist misslichen) Lage zu befreien: eine Tür, an die Wand gezeichnet, um in die Freiheit zu gelangen; oder eine Leiter, die einem über die Mauer hilft. Es sind die Zeichen, durch die sich das Gegenwärtige in andere Schichten öffnet und auf Zusätzliches, Anderes verweist.

Das auf die Bühne gezeichnete Podest hat eine gewisse Redundanz, die zugleich eine selbstreflexive Spiegelung sein kann. Denn die performativen Repräsentationen der markierten Territorien unterscheiden sich kaum voneinander: Songs („The Magical Mystery Tour“ oder „Imagine“ von den Beatles; das ewige „I did it my way“ von Frank Sinantra und auch Elvis Presley’s „Lay off my blue suede shoes“) werden live auf der Bühne gesungen – und die Kunststücke (miteinander, mit den Objekten) auf dem gezeichneten Podest ausgeführt. Beides hat stark karikaturhaften Charakter.

Die lustvolle Darbietung von Spielereien kann durch eine gewisse Freigabe seiner Materialien und einer Hingabe zum Spiel subversiv und berührend sein. Das Beherrschen einer Spielerei, mag es auch noch so absurd sein, bewirkt etwas anderes. Werden einfache, willkürliche, alltägliche oder zufallsgesteuerte Aktionen als perfektes, frontales Spektakel wiedergegeben, dann erinnern die illustrierenden Körper an Werbungen, in denen Absurdes und Triviales als chic ausgerufen und Auslassungen oder Schwächen niemals preisgegeben werden. Körper und Raum werden zur Fläche, auf der die Zeichen entlang gleiten.

Soulimenko choreografiert eine feine Gratwanderung. Die Performer werden als Zeichenträger unvollständiger Bilder und kleiner Fantasien eingesetzt. Sie wirken in ihrem Gefangensein (im Bild), ihrem festen Entschluss zu unterhalten, ihrer penetranten Hinwendung zum Publikum bizarr und witzig. Im Unterschied zu der im Bühnenbild angelegten selbstreflexiven Spiegelung befragt sich ihre Präsenz wiederum nur in der Spiegelung und Anerkennung des Publikums.


Nur der auf Menschengröße geschrumpfte White Cube am Rand der weißen Bühnenfläche, in den sich die Performer zuweilen zurückziehen und so verschwinden, bietet die Möglichkeit, sich dem Repräsentieren zu entziehen.
Wenn die sinn-lichen Körper (in ihrem Un-sinn), ihrer Erfahrung, ihrem Oszillieren „des Berührens des Berührten“, im Da-Sein keinen Ort finden, werden sie in der Darstellung von Zeichen zu Trägern einer Gemeinschaft, die auf sich selbst verweist.

„Die Bühne ist nicht das Paradies!“


Wer spricht zu wem? Zeichnung? Darstellung?
Ein gezeichneter Palmwedel – oder war es ein gefallener Stern? – wird wieder weggewischt. Und am Ende scheint es, als wollten sich die Performer hinter ihren Objekten verstecken, während sie endgültig das gezeichnete Podest auslöschen. Mit den verkabelten Mikrofonen in der Hand verschwinden sie hinter dem schwarzen, samtenen Vorhang.
Auf der weißen glänzenden Fläche verbleiben die Mikrofonkabel, als Linien im feinem Fluss zum Abschiedslied:
„Bye bye love / Bye bye happiness / Hello loneliness / I think Im gonna cry / Bye bye love / Bye bye sweet caress / Hello emptiness / I feel like I could die / Bye bye my love, goodbye.“ [2]


Fußnoten:

[1] Alexandra Kleihues: Der Dialog als Form. Analysen zu Shaftesbury, Diderot, Madame d’Épinay und Voltaire, Berlin: Königshausen & Neumann, 2001, S. 146.

[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Bye_Bye_Love .

(03.02.2009)