Die Unsichtbare

Sabina Holzer ’08
„Spurensuche – Code Irma Vep“
eine performative Lesung mit Thomas Ballhausen

Huber sagt, dies sei ein Fall, den habe noch keiner erlebt. Ein einzigartiger Fall in der deutschen Kriminalgeschichte, das müsse man klar sagen, sagt Huber, da man über diesen Fall bis heute gar nichts Klares sagen könne. Huber ist der Frau seit exakt zwölf Monaten auf der Spur. Genau genommen nicht ihr selbst: Ihrer Spur ist er auf der Spur. Die Frau könnte eine Serienmörderin sein, muss es aber nicht. Tatbeteiligt war sie immer. Ihre Opfer sind alt wie jung, männlich wie weiblich. Es gibt keine Strategie, kein Muster, kein Motiv, keine Kohärenz, keine inneren, keine äußeren Zusammenhänge.

Die Frau hat kein Gesicht und keine Gestalt, kein Alter, keinen Namen, keine Nationalität, keine Muttersprache. Niemand kann sagen, ob sie blond oder brünett ist, dunkelhäutig oder weiß, groß oder klein. Wer sie gesehen haben könnte, schweigt bisher. Wer sie gesehen haben muss, leugnet. Aus Angst vermutlich. Huber weiß nicht, warum. 1 Million Euro Belohnung sind ausgeschrieben, und keiner bricht das Schweigen.

Du beschäftigst seit 1915 europaweit über 100 000 Polizisten, Ermittler und Kriminaltechniker.

Ich bin dir das erste Mal 2003 begegnet. Ein Mann hat mir während einem Aufenthalt im Labor von dir erzählt. Unauffällig hat er mir die Information zugesteckt, als ob er wüsste, dass ich dir folgen würde, dich betrachte wollte, dass ich, in meiner Torheit nicht aufhören würde deine Nähe zu suchen.

2005 hat besagter Mann, den sie Jack nennen, – der zu meinem grössten Glück immer wieder in meinem Leben auftaucht und dessen vorzügliche Lieblingsbeschäftigung es ist, „Coups“, wie er sie nennt, zu konstruieren, köstliche Zeiträume von Gemeinschaft und Abenteuer, – dieser Jack hat mir am 24. November 2005 das erste Mal den schwarzen Anzug übergeben. Denselben Anzug.

Seitdem begleitet er mich und schält sich aus der Zeit.

Ich glaube, du verstehst, was das bedeutet.

Sie machen mir Mut die Zeichen, die du sendest. Sie sind mir eine vertraute Stimme. Du hinterlässt eine Melodie. Ich werde versuchen, dich zu erkennen. Ich habe nicht zu hoffen gewagt.
Ich habe, das gebe ich zu, auf ein Zeichen von dir gewartet. Dieses Warten hat und das möchte ich betonen, nichts mit Erwarten zu tun. Es war eher ein auf der-Lauer-liegen um die Zeichen, die Signale aufzunehmen für den nächsten Schritt, den nächsten Sprung, dem nächsten Verschwinden, dem Eintauchen in die Dunkelheit.

Haben wir uns doch in einer stillen, flüchtigen, wesentlichen Vereinbarung der Lust verschrieben. Sie ist unsere Last. So sind wir sind der Schuld entkommen. Das ist die Abmachung. Sie zählt und hat ihren Preis.
Sei versichert: ich weigere mich diesen Preis anzuerkennen. Das muss ich, auch das gestehe ich, meinem Herzen erzählen um es zu beruhigen. Diese Kleinseligkeit schätze ich nicht, durchaus nicht. Doch dir und hier und jetzt möchte ich erzählen, von dem Herzklopfen und dem Zaudern. Denn du berührst mich in den dunkelsten Gebieten, in der Offenheit meiner Nacht. Diesem Wissen das nichts mit Wahrheit zu tun hat. Das ich mir immer wieder stehle.
Schwarzen Seide muss fliessen.

Huber sagt, du bist kein Phantom. Er sagt, die Frau existiere. Das wisse man. Er ist kein Narr. Huber nennt dich kurz »UWP«, unbekannte weibliche Person. All das, sagt Huber, sei mysteriös. Mysteriös heißt nicht frustrierend, kommt aber nahe an frustrierend heran. Stärkere Emotionen lässt Huber nicht zu.
Auch er würde sich gerne entziehen und dem eigenen Spiel nachgehen eine kleine Weile.
Dieser Fall, sagt er einem US-Magazin und dem französischen Frühstücksfernsehen, sprenge alles je Dagewesene: Huber und seine Leute hätten 3000 Spuren erfasst und 2400 bearbeitet. Es habe darunter nicht einen einzigen konkreten Hinweis auf die Frau gegeben. Tausende von lauwarmen, kühlen und kalten Spuren. Deine Handlungen hinterlassen nichts Sichtbares, nur aufflackernde Bilder. Neue Spuren, die den Alten widersprechen. Einmal scheint es, man habe es mit hochprofessionell organisierten Einbrechern zu tun, dann mit ungeschickten Dieben. Mal mit Morden, deren Ausführung auf Profikiller hinweise, dann mit Opfern, die durch pure Gewalt zu Tode gebracht worden seien. Statt sich scharf zu stellen, zerfällt das Bild in tausend Pixel. Das Bild der Frau ist das Bildnis einer monströsen Leere.

Der Mann, den sie Jack nennen, hat sie gefilmt. 20 min und ohne Schnitt. Ihre Verwandlung gefilmt. Er folgt den scheinbar alltäglichen Handlungen, den unspektakuläre Vorbereitungen in einem gewöhnlichen Hotelzimmer. Die Kamera ist sein Auge, er zwinkert nicht, er lässt keine Unterbrechung zu. In dem Ausgeschnittenen, dem Neugefassten wirkt die Umgebung mit. Er hat dich berührt. Tastsinn ist Ausbreitung.

Auch ich suche dich. Darf ich widerstehen und mich begnügen mit einer Gegenwart die niemals ist, niemals genug ist. Diesem Schwarz, dass sich aus den Lücken erhebt. Soll ich dich lieben. Habe ich die Kraft dich zu lieben immer und immer wieder in neuer Gestalt? Dich zu entdecken mit meiner Haut, dich zu atmen, dich zu tasten. Hasten mit dir, atemlos sein, ausgewechselt sein. Schimmern.

Deinen Verbindungen nachgehen. Sie flimmern über die Bildschirme.
Hedi Lamarr, Emma Peel, Catwoman, Jakita Wagner, Modesty Blaise, Miss Coochie und all die fremdländische Namen, die ich noch nicht entziffere.

Alles neugierige Denken und kühne Handeln steht im Zusammenhang mit dir.
Lass uns sein. Hier und jetzt. Lass uns von gestern sein. Lass uns das Morgen träumen. Eines Tages in Paris und an einem anderen Ort. Ich folge dir.

In der Zeitung vom 24.April 2008 haben sie dir nach Lage aller Spuren folgendes Psychogramm erstellt: UWP ist eine sehr flexibel agierende Person, die in Gartenhäusern nächtigt, gerne aus zurückgelassenen Flaschen trinkt und sich beizeiten anderen Ganoven anschließt. Sie hat Bezugspunkte in Rheinland Pfalz, Baden-Württemberg und Oberösterreich, ist möglicherweise drogenabhängig und zwischen 25 und 50 Jahre alt, eine Frau, die kein bestimmtes Milieu bevorzugt, ein gutes Gespür für Tatorte vor allem in Vororten, Kleinstädten oder Großstadtvierteln hat, ab und an gezielt Motorräder, Elektrowaren oder Autos stiehlt und sich unliebsamer Beobachter äußerst brutal entledigt, wenn sie bei ihren Verrichtungen überrascht wird. Sie trägt einen schwarzen Anzug. Ihre Seele hat die Farbe ihres Kostüms.

Einen Plan zu folgen, bedeutet nicht einen Befehl aus zu führen. Die zerrissenen Fäden der Geschichten. Aus dem zerfetzen Körper entsteigt ein schwarzer Schatten. Ein hinweisendes Für-Wort. Die, diese, diejenigen. Dieselbe. Jene. In den Verstrickungen der Beziehungen die Revolution ohne Namen.
Deine abgeschuppten Hautzellen sind mit dem Auge nicht wahrnehmbar.
Deine Erbinformation dreht eine Strickleiter, die lautet:

I’m a cool hunter making you my way
Like a brand name you’ll replay

I will know you
I won’t show you, yeah yeah
You’re the one

Can you sell me
Yesterday’s girl
Cuz everyday I feel more like her
Oh baby baby
Please don’t go

Pattern recognition
Is kind of slow
Like a cool hunter watch the disarray
Keep your secret foolish head away
I will know you
I won’t show you, yeah yeah
Close your eyes and feel the fun
Pattern recognition’s on the run

I will know you
I won’t show you, yeah yeah yeah
You’re the one