Brief ans Aluminium

Von Niamo Lattner

Liebes Aluminium!
Wir sind hier zusammen gekommen. Im Grunde wollen wir uns mit Dir und Deinen Verbindungen beschäftigen. Das ist nicht grundlos. 
Wir hetzen herum und haben es immer eilig. Wir haben so viel und denken immer, es ist zu wenig. Wir haben die Zeit aufgegessen. Verstehst Du, was ich meine?

Sogar Dich habe ich aufgegessen. Und wusste nichts davon. Du bist im Tee, in getrockneten Kräutern, zum Beispiel. Du hinterlässt Deine Mikrospuren überall. Ich kann sie nicht sehen. Aber sie werden Teil von mir und verändern mich. Ich weiss noch nicht wie. Sicher ist: du bist und wirst viel älter als ich: älter als meine Organe, als mein Gehirn und meine Knochen. Vielleicht werde ich einmal Du, wenn ich nicht mehr bin. Ein wilder Schimmer in der Welt.

Du hältst alles frisch und bist sehr elegant in Deinem Auftreten. Nichts geht schief mit Dir. Außer dieser rote Schlamm und diese Unmengen an Energie… Du weisst schon, was ich meine. Du hast ja so viel erlebt und wurdest mit allen Feuern gewaschen – wenn ich das so sagen darf. Ich will Dir nicht zu nahe treten. 
Ich kann mir garnicht vorstellen, welche Trennungen Du erleben musstest, um zu dem zu werden, was Du jetzt bist. Wie stark Du bist. Wie leicht. Du wickelst mich ein. Mit Dir bin ich gut verpackt und haltbar gemacht. Liebes Aluminium, wirf mich nicht weg.

Liebes Aluminium!
Ob ich es will oder nicht: Du beschäftigt mich. Du kommst aus der Erde. Du bist im Boden. Bist unser Boden. Was wäre unser Leben ohne Dir? Wir schauen uns um: was alles besteht aus Aluminium? Du gibst unserem Leben Haltbarkeit, machst Dinge, Nahrung transportable. Mit Dir können wir Fliegen, Zug fahren, Auto fahren. Wir kochen und konstruieren mit Dir. Wegen Dir. Du gibst das Glitzern in die Kosmetik und machst Impfungen erst wirklich wirksam. Du bist ein Geschenk. Du bist ein Problem. Was haben wir gemacht? Mit Dir? 

Wir wollten Dich. Jetzt nimmst Du Deinen Platz ein. In uns, um uns. Mit diesem Platz müssen wir einen Umgang finden. Mit Dir und Deiner Zeit und uns und unserer Zeit. Unserer kleinen Menschenzeit. Genau wie Du, liebes Aluminium.

Liebes Aluminium, Du bist überall! Du bist wie die Dose. 

Auch mit ihr wurde schon viel gehandelt. Schon wieder dieses Handeln. 
Was mache ich mit Metallen? Sie nützen mehr als sie Schaden. Oder? Wie Waffen. Sie machen Metalle eindeutig gefährlich. Aber die Gefahr ist schon vorher da, vor diesem Stift, diesem Gerät, diesem Computer, diesem Handy. Diesem Schokoladenpapier. Dieser Erde, diesem Universum, diesem Leben. Alles ist voller Gefahr. Aber muss man sich fürchten? Das erwartet man immer von Gefahr. Man soll sich fürchten. Aber woher kommt das? Wer sagt das? Ich glaube, man soll sie einfach wahrnehmen. Sie will auch nur etwas sein, das man wahrnimmt. Sie ist nicht nur mit Dingen, Personen und Orten verbindbar, sie ist etwas für sich alleine. Sie kann alleine existieren, wenn wir sie nur lassen. Aber wir brauchen was zum Fürchten, einen gemeinsamen Feind. Auch wenn es unfair gegenüber dem Feind ist, sich gemeinsam gegen ihn zu verbünden. Für andere ist / war er ein Freund. Freund und Feind. So wie Du, liebes Aluminium. 



Liebes Aluminium! 
Ich bin nur einem Glitzern gefolgt und im Regenwald gelandet. Der abgeholzt wird, damit Du aus der Erde gegraben, geschmiedet werden kannst. Und plötzlich waren da Menschen. Lebendige Menschen und Tiere. Bäume und Pflanzen. Lebendiger Boden. Leben und Lebensgrundlagen für sie alle. Da gibt es keine Chance zu entkommen. Diese Herzen der Menschen. Sie gehören zu uns. Wir zu ihnen. Schön, aber auch traurig. Man muss sich anstrengen um geliebt zu werden. Um zu lieben. Muss sie halten und erhalten die Liebe. Wo bist Du, mein schönes Silber? Du bist nicht wichtig. Du bist nur überall. Wir sind immer gemeinsam. Das ist nur natürlich. Das ist die Natur der Dinge. Man soll ihr nicht schaden, der Natur. Und doch schaden wir ihr so viel. Es ist unsere Natur. Von Natur aus gegen Veränderung. Sind wir so? So sind wir nicht! Wie sind wir dann? Und was macht das mit der Süße unseres Lebens? Man lebt schließlich nur einmal! Aber vielleicht lebe ich auch oft. So wie in den Dingen, in den Spuren, die ich hinterlasse.

Genau: wir sprechen über Metall. Metall kommt aus dem All und ist ein Teil von unserem Körper. Wir tragen Spuren von diesen metallischen Elementen in uns. Wir sind, irgendwie, ein Glitzern, ein Leuchten. Du bist Teil von uns. Wir sind Teil der anderen durch Dich. Ihre Arbeit wird Teil von uns. Ihr bluten. Ihr sterben. Für mich, für Dich. 
Die Frage ist: Was erwarten wir? Und von wem? Ich glaube, man soll sich selbst wahrnehmen, aber man ist nicht für sich alleine. Aluminium, Du zeigst uns das. Du gehst lauter Verbindungen ein und veränderst Deine Form. Du kannst das. Aber wir brauchen einen Feind, so wird gesagt. Dabei brauchen wir eine Freund*in. Am besten: viele Freund*innen. Denn es gibt viel zum Fürchten. Vor allem wenn sich eine Masse gleich bewegt und sich alles ähnlich wird.

Liebes Aluminium, Du bist nicht Teil dieser Blase. Sie sagen Du bist tot, aber du lebst. Man lebt in anderen weiter, so lange man an sie denkt, so heißt es. Dann bleibt man mit ihnen in Berührung. So lebst Du in der Welt weiter. Du lebst in mir weiter. Überall in den Dingen, die ich berühre und die aus Aluminium sind. Die Dinge, mit denen ich in Kontakt bin. Man darf Dich nicht verurteilen. Du hilfst uns auf so viele Weise. Aber wie können wir Dir helfen? Wie können wir der Erde helfen, von der Du Teil bist, Teil warst. Deiner Mutter, – wie geht es ihr? Wir lieben sie unbewusst und unbewusst sind wir im Regenwald von Brasilien gelandet. Mit jeder Aluminium Dose halten wir ein Stück Regenwald in der Hand. Mit jedem Stück Aluminium reisen wir in die Tropen. Das ist kein Spiel. Und doch ist es ein Spiel. Wir spielen es mit Demut irgendwie. Wir verbeugen uns mutig. Wir machen eine Choreografie, einen Tanz. Weil Tanz immer mit Achtsamkeit zu tun hat und man lernen muss sich nicht zu verletzen. 
Also machen wir gemeinsam eine Choreografie. Das heißt, wir schreiben den Raum. Wir achten darauf woraus er besteht, wo mit er wirkt. Wir beschreiben ihn mit unseren Körpern, weil wir den Raum besetzen und so der Zeit einen Ablauf geben. Deine Zeit ist eine andere als meine Zeit. Dein Körper ist anders als mein Körper. Und doch teilen wir die Körperlichkeit. Und sind aus den Stoffen gemacht, aus der die Erde, mit der wir leben besteht.

Ach ja: Grüße an C.L.

Deine Niamo