Dieser Text entstand aus einem Gespräch zwischen Herbert Justnik, Sabina Holzer (Zusammenfassung und Text) und Elisabeth Schäfer (Transkription).
Mich interessiert die Platzierung meiner künstlerischen Arbeiten in einem
dritten Raum, im Zwielicht der darstellenden und ausstellenden Künste. Als Raum und Ereignis, in der mir genau die Nicht-Verschmelzung der beiden Modelle so wichtig ist, geht es mir um bestimmte Differenzen und Fragen: Was ist die Kunst – was die Künstlerin? Was bedeutet Performance, Agieren, Akt, Sprechen? Was ist Gegenstand, was Darstellung? Was Subjekt, was Objekt? (Jack Hauser)
Warum „choreografische Assemblage“?
Mit dem Begriff „choreografische [1] sollte bei dem Projekt which dances – eine choreografische Assemblage eine Differenz zu herkömmlichen Ausstellungen und Performances angekündigt werden. Das Choreografische war eine Anleitung zur radikalen Hinwendung zu Raum und Zeit als konstituierende Elemente des Seins, der Präsenz und der Handlungsmöglichkeiten von menschlichen und nicht-menschlichen Körpern. In diesem Sinne wollen wir Raum und Zeit als wesentliche Ressourcen für unsere Existenz auf diesem Planeten thematisieren.
Menschliche und nicht-menschliche Körper haben jeweils eine eigene Zeitlichkeit, eine spezifische räumliche Ausdehnung und besetzen damit Räume. Sie gestalten diese Räume durch ihre materielle Gegebenheit und „choreografieren“ diese. Sie bestimmen, wie sich jemand in diesen Räumen bewegen kann; wie hell oder dunkel der Raum mit ihnen wird; nicht-menschliche Körper haben Gewicht, durch welches das Gewicht des menschlichen Körpers wiederum in Beziehung gebracht wird. Und sie haben Geschichte, die einerseits durch Herkunft, Produktion entsteht und andererseits durch die jeweilige Kultur auf bestimmte Weise gelesen wird. Sie sind wirksam. Sie performen und haben eine Agentialität.
In Choreografie, Tanz und Performance sind Tempo, Rhythmus, Licht und Raum oft die wesentlichen Elemente der inhaltlichen Gestaltung und Komposition. Aber auch die eher reaktiv angelegten Dinge im Museum sind etwas, mit denen eine Performance interagieren kann und die zugleich einen gewissen Akteur-Charakter haben. Wenn irgendwo eine Vitrine steht, kann eine Besucherin sich einfach an dieser Stelle nicht mehr bewegen, sondern muss rund um diese fixierten Objekte gehen. Ein Gegenstand ist Körper und Akteur im Raum, der die ganze Art und Weise, wie ich mich verhalten muss und kann, bestimmt. Trotzdem ist es eine statische Situation und stellt die Frage des „Wie“? Also: Wie ist das mit Performance zu kombinieren, damit Performance nicht einfach zu einer flüchtigen Dekoration wird. Und das thematisiert auch die generell interessante Herausforderung für die museale Sichtbarmachung von Gegenständen der Wissenschaft, nämlich die vergangenen Bewegungen von Objekten, die beispielsweise einem experimentellen Zusammenhang entstammen, in Präsentationen wieder sichtbar werden zu lassen und so die besondere Eigenzeit der Wissenschaftsobjekte in Ausstellungen einzuholen. Einige Objekte befinden sich immer noch in der charakteristischen Bewegung des Forschens und Repräsentierens; andere, und das mögen die meisten sein, wurden schon vor langer Zeit aus dem Bereich der Unruhe abgezogen. Gerade in dieser Gleichzeitigkeit von verschiedenen Bedeutungen, verschiedenen Zeiten und Bewegungsstufen ist eines der wichtigsten Potentiale wissenschaftlicher Sammlungen zu sehen. Und dies verbindet sich wieder mit Fragen der Performanz: Wie entstehen Handlungsräume, Zeiträume? Wie überlagern sie sich und koexistieren?
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Wie können die Zuordnungen von Subjekt und Objekt verändert werden?
In which dances – eine choreografische Assemblage haben wir uns diesen Prozessen über das Konzept des Schreibens von Körpern im Raum angenähert; durch das choreografische Verständnis des In-Beziehung-Gehens und durch das untrennbare Verhältnis von Körper und Raum. Körper und Raum beschreiben einander wortlos, vage und konkret zugleich. In diesem Sinne wird der Raum – chora – fortwährend geschrieben, graphein, und der Raum schreibt die Körper durch seine Konsistenz: Größe, Wärme, Lichtverhältnisse usw. Körper und Raum schreiben, beschreiben und überschreiben einander permanent. Sie informieren einander – in der Form und in der Entfaltung des Kontexts. Es geht um den Versuch neue Räume durch körperliche, kulturelle, technische, politische und künstlerische Praktiken zu entwickeln. Sie dechiffrieren, entschlüsseln und codieren Territorien neu. Wir wollen die „materiell-semiotischen Verbindungen“ (Haraway 1995; 2018) untersuchen, nämlich jene Verbindungen, die ebenso materiell (zwischen Dingen) als auch semiotisch (zwischen Konzepten/Begriffen/Worten usw.) bestehen. „Welche „choreografischen Assemblagen“ unterstützen die Prozesse des Umdenkens, des Umdeutens, der Umlagerung, des Recyclings von Materie?
Ein Organismus, der Schaden erleidet, setzt reparative Systeme in Gang, um sich zu kurieren. Diese Art von reparativen Praktiken inspirieren uns zu einem Nachdenken und Ausloten von Potentialen um uns herum — führen sie über kapitalistisch, imperialistisch geprägte Gestaltungs- und Produktionspraktiken im Anthropozän hinaus. Wie können wir ein Bewusstsein für die Verwundbarkeit von Dingen und Ko-Existenzen fördern? Was ist unser Umgang mit und unser Verhältnis zu Materialien, zum Materiellen. Was sind unser Alltagspraktiken, unsere Kulturtechniken? Sind sie veränderbar? Der Aufruf an die Besucher*innen des Volkskundemuseums Aluminium zu sammeln und mitzubringen, war diesbezüglich der deutlichste Verweis. Aber auch viele Materialien in der Assemblage (Alufolie, Verpackungsmaterialien, Elektroteile usw.) sind Teil unseres alltäglichen Lebens. So wird diese scheinbar abstrakte Auseinandersetzung ganz konkret: … Ach ja, das Biotee-Sackerl ist innen mit Aluminium ausgelegt …; Ach ja stimmt: bei Chips-Verpackungen ist das auch so … und bei Tetra-Packungen …; Schokoladepapier…; Medikamentenverpackungen usw.
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Warum „Zone“?
Mit dem Begriff der „Zone“, wollten wir hier in einen Bereich einladen, in dem andere als die üblichen Museumskonventionen gelten. Ein räumlicher Bereich also, in dem die Choreographische Assemblage stattfand. Gleich am Eingang war am Boden zu lesen: Welcome to the Zone. Die Besucherinnen sollten so angeregt werden, ihren eigenen Weg zu entwickeln; dem, was für sie anziehend ist, nachzugehen; Spuren zu lesen. Die Zone ist diskontinuierlich, plastisch und nimmt mit jeder Besucherin ihre eigene Form an. Referenzen und Bezüge sind hier nicht homogen systematisiert. Die einzelnen Elemente und Materialien sollen für sich, mit ihren materiellen Gegebenheiten, sprechen.
Und hier hilft uns die Choreografie, der Tanz und die körper-basierte Kunst wieder, weil ihre Grundlage non-verbale Wahrnehmungsphänomene sind: Wie fühlt sich etwas an? Was erlebe ich? Was sind meine Gedanken, Assoziationen, Erfahrungen? Es wird nicht gleich alles ausgewiesen, sondern eher versucht, die Wahrnehmung und Neugierde zu stimulieren. Wir verschieben die soziale Konvention, damit etwas anderes in Erscheinung treten kann. In diesem Sinne geht es auch um eine sensorisch-orientierte Wissensvermittlung. Im Unterschied zu einer Ausstellung, konnten die Besucher*innen hier in Kontakt gehen: Materialien berühren, mit dem Aluminium schreiben und etwas formen, Plakate mit Aluminiumverpackungs(resten) basteln, sich rund um einen Tisch aus 40cm x 40cm recycelten, gepressten Aluwürfel setzten und in angebotenen Büchern lesen usw. Auf diese Weise haben wir zu einem Verweilen eingeladen. Wodurch dann wieder andere Dinge wahrgenommen wurden. Auf diese Weise wollten wir eine Aufmerksamkeitsökonomie kreieren.
In Bezug auf die menschliche Performance bedeutet dies eine Präsenz zu entwickeln, die auf die Dinge und ihre Aktivitäten (Licht, Sound usw.) weist und versucht, das in der Aufmerksamkeit der Besucher*innen auftauchen zu lassen. Wir probieren die Aufmerksamkeit in gewisser Weise umzulenken, ohne mit dem Zeigefinger darauf zu zeigen. Eher geht es darum, länger bei einem Ding oder an einem Ort zu verweilen. Es ist eine Einladung zur Kontemplation, sich der eigenen Gedanken gewahr zu werden.
Wenn die Einladung an Besucher*innen und das Publikum dahingehend ist, dass sie ihren Habitus verändern, entsteht auch eine gewisse Irritation. Menschen sind dann vielleicht erstmal ein bisschen ratlos, weil sie sich neu orientieren müssen. Sie kommen rein und suchen erstmal nach Beschriftungen, nach Tafeln, die erklären, was zu sehen ist, oder den Weg weisen, hier ist der Anfang … in diesen Raum zuerst … Das hat auch eine habituelle Konvention. Auch wenn das Volkskundemuseum Wien, als „kulturwissenschaftliches“ Museum in seiner speziellen Kuratierung generell transdiziplinär arbeitet und oft in einer Weise ausstellt, die künstlerischen Installationen sehr nahekommt, geht es auch dort genau um die Frage: Was können Formen von öffentlicher Wissensproduktion sein? Also einer Wissensproduktion, an der quasi das Publikum selber arbeiten kann.
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Wie verhalten sich menschliche Performance und Museum zueinander?
Das Format „Durational Performance“ wurde bei which dances – eine choreografische Assemblage immer wieder diskutiert. Ein Ausstellungsraum hat eine Öffnungszeit und eine Schließzeit. Aber während dieser Zeit gibt es in den meisten Fällen – bis auf das Begleitprogramm – keine konkreten Akte. Ich kann mich in dieser Zeit relativ frei darin bewegen; ich kann mir aussuchen, wann ich wo, an welchem Ort der Ausstellung sein will. Diesbezüglich ist die Performance zwar in sich einerseits affektiv und dynamisch, aber andererseits viel restriktiver und viel statischer was die Bewegung der Betrachterin oder Besucherin betrifft, denn es gibt einen Beginn und ein Ende. Je nachdem natürlich, an welche Art von Performance ich denke. Wenn jetzt beispielsweise jemand sagen würde, er/ sie bleibt von der Öffnungszeit bis zur Schließzeit, arbeitet und macht Pausen und verbringt den Arbeitstag als einen gewissen performativen Akt, dann würde eine Art Angleichung passieren.
Hier aber ging es diesmal mehr um eine Achtsamkeit gegenüber den Ressourcen und nicht um eine ganz bewusste Inszenierung der Erschöpfung des Körpers, die sich zweifellos einstellen würde. Selbst wenn das vielleicht sogar in einem politischen Sinne als kritisch verstanden werden kann und auf Fragen auch unserer Zeit anspielen würde: Sind wir vielleicht alle in neoliberalen Kontexten in Erschöpfungszuständen usw.? In dem Projekt ging es eher um ein Intensivieren eines Zeitraums, um die Möglichkeit in Abstand zu gehen, verschiedene Rollen und Funktionen einzugehen. Die Fragen, wie gehen wir mit Ressourcen um? Wie mit dem, was da ist? Für uns war unsere künstlerische Praxis das performative Display: das Tanzen und das Schreiben als ästhetischer Akt. Deswegen haben wir uns auch entschieden mit Scores zu arbeiten. Also mit Handlungsanweisungen, die zu einer bestimmten Aktivität einladen. Wie diese Aktivität dann jeweils ausgeführt wird, blieb offen und ist abhängig vom jeweiligen Moment.
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In welchem Sinne „Scores“?
Bei which dances – eine choreografische Assemblage war – performativ gesehen – der Score (im Sinne einer Handlungsanweisung) Entwicklungsraum für Material und Aufführung zugleich. Es ging immer um den Prozess einer Tätigkeit, auch wenn diese ganz alltäglich und unspektakulär war. Allgemein gesprochen: Je öfter ich einen Score wiederhole, umso mehr entdecke ich die Möglichkeiten, die er mir bietet. Ich lasse mich jedes Mal aufs Neue auf ihn ein. Natürlich geschehen Wiederholungen, aber es geht nicht darum etwas Bestimmtes zu wiederholen.
Es geht darum, sich dem Prozess der Aktivität zu widmen. Jedes Mal neu, mit der jeweiligen Stimmung, Tagesverfassung usw. Ein Score bekommt eine andere Aufladung, wenn er allein ausgeführt wird, oder wenn Menschen zuschauen. Aber umso vertrauter der Score ist, um so selbstverständlicher wird das Tun auch im Beisein von Anderen. Es ist wie ein Veröffentlichen der künstlerischen Praxis, bei
der ein Score hilft, die Aufmerksamkeit zu lenken und zu dosieren und nicht in die Falle zu tappen: Ich muss jetzt etwas Besonderes zeigen. Das wäre eine andere performative Konvention gewesen, die eine andere Wirkung entfaltet als die, welche in diesem Projekt intendiert wurde.
Einen Score als einen Rahmen für ein offenes Setting zu betrachten, indem Impulse gesetzt werden, um dann zu schauen, was passiert, ist ein sehr interessanter Ansatz. Es hilft anders über Formate nachzudenken und z. B. zu fragen: Bei welcher Form will ich welche Auseinandersetzung in Gang bringen? Vielleicht brauche ich manchmal sogar nur 2 Besucherinnen? Bei welchem Format brauche ich 10 oder 20 Besucherinnen? So könnte der Handlungsrahmen angepasst werden, ohne auf etwas hinzuarbeiten, das es eindeutig zu vermitteln gälte. Denn wenn ich etwas Eindeutiges vermitteln will, dann bin ich darauf konzentriert und sehe nicht so sehr, ob Rahmung und Form passend sind.
Interessant sind Formen, die mit den Konventionen und Limitationen der jeweiligen
Sparten spielen, sie hinterfragen. Die implizierten Regelungen öffnen. Zum Beispiel Hinweise und Beschriftungen anders zu platzieren, so dass sich jemand bücken muss, oder leicht in die Knie gehen, oder sich auf die Zehenspitzen stellen, um sie zu lesen. Das sind ganz einfache Dinge, welche die Körperlichkeit der Besucher*innen thematisiert und sie aus der bei uns üblichen Vertikalität im
öffentlichen Raum holt.
Oder einfach das Gedankenexperiment auszuprobieren und sich zu sagen: Beim
nächsten Museumsbesuch lege ich mich einmal auf den Boden, um dann zu
schauen, was passiert.
Literatur:
Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften.
In: dies.: Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hg. von Carmen Hammer,
Immanuel Stieß. Aus dem Amerikanischen von Fred Wolf. Frankfurt: Campus Verlag 1995, 33-74.
Donna Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Frankfurt/New
York: Campus Verlag 2018.
[1] Das Gespräch bezieht sich auf das Projekt which dances – eine choregrafiscche Assemblage im Volkskundemuseum 2021. Der Begriff „choreografische Assemblage“ wurde von Sabina Holzer für die Setzung, die sich zwischen Vorstellung/Performance und Ausstellung verortet, definiert. Der Begriff war auch ein Versuch, die Verschränkungen zwischen menschlichen und mehr-als-menschlichen bzw. nicht-menschlichen Akteuren, wie sie u. a. von Karen Barad, Donna Haraway und Bruno Latour vorgeschlagen werden, zu kommunizieren, zu denken und als künstlerische Praxis anzuwenden. https://www.volkskundemuseum.at/whichdances (Last access 24.05.2025) https://www.volkskundemuseum.at/which_dances?event_id=