Im Auge des Kinos

„SIGNED, SEALED, DELIVERED“ BEI DEN WIENER FESTWOCHEN #4: LUKE BAIO MIT DOMINIK GRÜNBÜHEL
Von Sabina Holzer

Die Wiener Tänzer Luke Baio und Dominik Grünbühel stellen in ihrer Performance Shoot me im Studio des Tanzquartier Wien den Aufwand, die unzähligen Handgriffe, die ausgeführt werden müssen, um den einen Moment zu inszenieren, der von der (Video)Kamera aufgenommen werden soll, aus. Das Studio gleicht einem Filmset. Neben Stativen, einem Kleiderständer und schwarzen, halbmetergroßen Quadern, gibt es zum Beispiel auch ein winzigkleines Modell von einem Hauseingang mit Laterne. An den schwarzen Vorhang, der die Studiowände abdeckt, ist ein weißer Rahmen geklebt, vom Plafond hängt ein Trapez.

Jeder der Performer trägt einen weißen Anzug, über den er im Bedarfsfall einen halben schwarzen Anzug ziehen kann. Baio und Grünbühel geben sich als clowneske, dandyhafte Artisten. Raum und Performer sind schwarzweiß gehalten. Ein Spiel mit Licht und Schatten. Einzig eine rote Rose gibt es, als Zeichen der Sehnsucht und unabdingbares Accessoire des Gigolo. Zum Live-Sound von Mathias Koch und Herbert Michael Kopitar entwickeln die beiden Herren ein geschäftiges Treiben. Die Videokamera ist ihr Partner. Sie wird hin und her gereicht, da und dort hingestellt, auf- und abmontiert. Die Darsteller sind Bühnen-, Aufnahmetechniker, Regisseur und Performer in einem und konzentrieren sich auf ihr Tun, das durch ihr angespanntes, erhöhtes Tempo einen coolen improvisatorischen Charakter bekommt. Im dauernden Wechsel zwischen funktionellem Auf- und Abbauen und sekundenlangem Inszenieren von Posen, Bewegungssequenzen werden die ZuschauerInnen zu ZeugInnen von trickreichen Basteleien.

Optische und perspektivische Täuschungen


So können die beiden Künstler zum Beispiel zu zweit eine Figur vortäuschen, die mit Riesenschritten in weißen Anzugbeinen rennt, ohne den Boden zu berühren und ohne sich von der Stelle zu rühren. Denn tatsächlich stehen sie eng beieinander, jeder auf seinem schwarzen Standbein, während die äußeren, weißen Beine hoch durch die Luft fliegen. Baio / Grünbühel sind mit ihren Tricks und den Aufnahmen sehr beschäftigt. Einige Male beziehen sie auch das Publikum direkt mit ein. So wird einmal eine Gruppe gebeten, sich Popcorn essend aufnehmen zu lassen, dann wieder sollen alle Zuschauer mit beiden Händen winken, und gegen Schluss – man denkt schon, dass man einer charmanten, atemlosen, irritierend konsequent lässigen Inszenierung eines nicht existenten Film beigewohnt hat –  tragen Baio und Grünbühel eine Reihe alter Kinosessel herein. Sie verteilen wieder Popcorntüten und entschuldigen sich dafür, dass sie dem Publikum nun endgültig den Rücken zu zuwenden. Auch sie wollen sich jetzt unbedingt den Film anschauen, den Georg Eckmayr während der ganzen Performance unauffällig im Hintergrund geschnitten hat.

Auf einer weißen Leinwand verwandeln sich nun all die winzigen Momentaufnahmen zu einer surrealen Geschichte, einem Gedicht aus optischen und perspektivischen Täuschungen. Der schwarze Hintergrund wird zum unendlichen Raum, in dem die Figuren schweben, weiße Klebebänder werden zu Architekturen, und unauffällige Details sind plötzlich flächenfüllend. „Wir sind das Kinoauge. Wir, die Maschine, zeigen Euch die Performance, wie nur wir sie zu sehen im Stande sind. Von heute ab und in alle Zukunft befreien wir die Performance von ihrer Flüchtigkeit“, schreiben Baio und Grünbühel im Programmheft und paraphrasieren dabei den russischen Experimentalfilm-Pionier Dziga Vertov. [*]

Überhaupt knüpfen sie  in Shoot me an die Ästhetik der ersten Avantgarde des 20. Jahrhunderts an und aktualisieren diesen Ansatz durch ihre humorvolle, funktionelle, partizipative Darbietung. Das eilige, flüchtige Allerlei (das natürlich genau sein muss) als Performance und als Produktionsprozess eines Videoclips, sowie dessen Projektion auf eine Leinwand zu inszenieren, ist ein riskanter, gelungener Coup. Materialität und Medialität  werden so in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und unterschiedlichen Wirkungsweise in einem komplexen, flüchtigen Konstrukt gezeigt. Die DVD des Films, die man sich als Publikum zusenden lassen kann, ist nur ein Teil des Abends, den man in seiner Gänze nicht missen wollte.  




Fussnote:
[*] „Ich bin das Kinoauge. Ich bin ein mechanisches Auge. Ich, die Maschine, zeige euch die Welt so, wie nur ich sie zu sehen im Stande bin. Von heute ab und in aller Zukunft befreie ich mich aus der menschlichen Unbeweglichkeit.“ Dziga Vertov: Umsturz. Aus dem Programmtext von Shoot me.


 (24.6.2011)