Auf den Hund gekommen

IVO DIMCHEV VERKÜNDET „WE.ART.DOG.COME“


Von Mario Sud

Ein Hund, der heult, ein Fernsehgerät, das rauscht. Ein Mann. Ein anderer Mann auf allen vieren unter der Decke. Natur, Technik, Mensch und irgendetwas dazwischen, irgendetwas von allem.
Wo sind wir? Wir sind in einer eigenartigen subjektiven Realität.
So antwortet Christian Bakalov, als ihn Ivo Dimchev forsch und laut angeht: „Christian, where are we?“ Und Christian antwortet: „We are in a strange subjective reality.“

Das gleich zu Anfang, nachdem das Publikum über den heulenden Hund, (der – zugegeben – schon irgendwie „süß“ ist.) wirklich hingerissen war und schon in empathischer Kontaktaufnahme beinah begann zurückzuheulen. Der Hund ist nur ein Teil von Dimchevs We.art.dog.come und ist nur zu Anfang und am Ende auf der Bühne. Am Ende fragt Dimchev den Hund: „Do you know what I represent?“ und antwortet selbst: „I represent reality.“ Zum Hund sagt er: „And you represent god.“ Das ist erstaunlich. Hat Dimchev den Hund doch während seiner kurzen Anwesenheit des öfteren relativ unlieb hin und her gezerrt. Vielleicht ist der Hund einfach tapfer, vielleicht lässt er viel über sich ergehen.

Was so wiederum nicht stimmt, denn der Hund heult und läuft hin und her, wenn er nicht festgebunden ist. Er folgt nur manchmal. Er macht, was er will und sucht dabei immer die Anderen. Vielleicht ist er nicht gerne allein. Vielleicht ist er auch – einfach nur ein Hund. Ein Hund, der Jackel genannt wird. Einen Hund darf man in Belgien nur haben, wenn man offiziell registriert ist. Auch das erfährt man in einem der absurden Dialoge dieser eigenartigen subjektiven Realität mit ihren zusammenhangslosen Situationswechseln, aus denen immer wieder kurze gestische Hyperaktivitäten oder kurze Songs hervorbrechen. Die Äusserungen, Benennungen, Dinge und Handlungen sind etwas verrückt in dieser dargebotenen Realität.



Etwas verrückt wirkt diese Performance insgesamt in dem beinahe monumentalen Wiener Akademietheater. Aber vielleicht sind es genau diese Architektur und Konvention dieses hundert Jahre alten Theaters (Baubeginn war 1911), die diese Figuren samt Hund in eine unerwartete Nähe zum Absurden Theater rücken. Und hierzu gleich ein paar Worte von Eugène Ionesco: „Absurd ist etwas, das ohne Ziel ist […]. Wird der Mensch losgelöst von seinen religiösen, metaphysischen oder transzendentalen Wurzeln, so ist er verloren, all sein Tun wird sinnlos, absurd, unnütz, erstickt im Keim.“ Demnach ist die Welt ohne Ziel, wenn sie frei von Religion, Übersinnlichkeit und Vernunft ist.


Ach, wären wir doch Ivo Dimchev!

2011 hat der Begriff „Wurzel“ längst seine Griffigkeit verloren. Das Kapital ist zum umfassendsten Stellvertreter allen Begehrens geworden, und die Regeln des freien Marktes gebieten marktschreierisch die Lösung aller erdenklicher Nöte. 2011 hören wir fassungslos von den Ausschreitungen in England, in dem eine Jugend das tut, was die neoliberalen Eliten seit Jahren vorleben: Sich das zu nehmen, was man haben will. Sich zu nehmen, ohne an eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft zu denken, deren wesentliches Merkmal Solidarität sein sollte, will sie sich in eine mögliche, nicht all zu gewalttätige Zukunft weiterentwickeln. Schließlich haben wir im vergangenen Jahrhundert, das noch garnicht so lange her ist, zwei gewaltige Weltkriege hinter uns gebracht und empören uns über Diktaturen und Polizeistaat, wenn sie sich anderswo ausbreiten.

Wir (die Besucherinnen dieses Theaters) sind doch eigentlich recht froh, unsere Religion, Übersinnlichkeit und Vernunft selbst zu bestimmen und tun unser Bestes, sie zusammenzubasteln. Voll mit Unglauben, Selbstreflexion und Verwirrung gegenüber den eigenen Handlungen wird der bizarre Witz unserer existentiellen Mühen poliert. Schein ist Sein. Denn wer gibt sich schon gerne als Witzfigur.



Ach, wären wir doch Ivo Dimchev! Dann könnten mit unseren Freunden Worte singen und wissen, dass wir einander nicht wirklich verstehen. Hätten diese Freunde auch eine andere Hautfarbe, eine „Rothaut“ zum Beispiel (auch wäre sie nur aufgemalt), wie bei Christian Bakalov, oder würden sie einfach mal in Socken und Unterhose vorbeischauen, wie Marian Ivanov. Wir wüssten, sie sind eigenartig wie wir; sie kommen eben aus einer anderen subjektiven Wirklichkeit. – Kein Problem! Oder könnten wir uns zusammensetzen mit unseren Toten, einfach einmal so im Kreis. Sie würden da sein, verkohlt und verbrannt aus irgendeinem dieser namenlosen Kriege, von denen wir hier nichts wissen. Oder wurden sie einfach verbrannt vom Leben, das immer leidenschaftlich ist? Wir könnten mit ihnen zusammensitzen im Halbkreis und so tun, als wären wir einer von ihnen. Als Spiel. Denn das Gehirn kann nicht unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit, und so könnte dieses Spiel die Gedankenmuster etwas verschieben, und wir könnten uns so vielleicht dem Unverständlichen etwas annähern.



Oder nein, das Beste wäre es wohl der Hund zu sein. Dann könnten wir endlich aus Herzenslust heulen. Und die BesucherInnen unserer subjektiven Wirklichkeit würden uns nicht verstehen, aber voller Mitgefühl mitheulen wollen. Sie könnten sich kaum zurückhalten (wir haben es an diesem Abend erlebt!). Gemeinsam würden wir heulen und winseln. Und es wäre unerträglich. Und es wäre laut. Das wäre ein Spaß! Gemeinsam wären wir dann laut und unerträglich. Und weil wir Spaß hätten, würden wir alle möglichen Kombinationen, Variationen und Taktiken entwickeln, um diese Vielstimmigkeit zu feiern. Naja, dann müssten wir wahrscheinlich aufpassen, nicht allzu erfolgreich zu werden, damit Kraft für das gemeinsame Heulen und Winseln bleibt. Damit Kraft dafür bleibt zu tun, was wir wollen und zugleich immer die Anderen suchen.


 (26.8.2011)