Über die Weitergabe eines Balls

BESUCH IN DER HAUPTSCHULE ALTMÜNSTER BEI BARBARA KRAUS, JACK HAUSER UND MATTHIAS THONHAUSER
Von Sabina Holzer


1. Konfliktminaturen



Barbara Kraus und Jack Hauser waren das Künstlerteam für die Hauptschule und dem Gymnasium in Altmünster. Jack Hauser musste wegen seiner künstlerischen Arbeit für zwei Wochen bei „I Like to Move It Move It“ pausieren. In dieser Zeit kam Matthias Thonhauser, Theaterschaffender (Arge Forumtheater) und Theaterpädagoge mit ins Team. Um den Kontakt mit den SchülerInnen nicht durch Wechsel zusätzlich zu strapazieren, beschlossen Barbara Kraus, Jack Hauser und Matthias Thonhauser, ihre Arbeit in der Hauptschule zu dritt zum Abschluss zu führen.



Die Präsentation des Prozesses einer 3.Klasse der Hauptschule findet um 9.30 als ein Parcours durch das Gebäude statt. Es sind zwei Durchgänge geplant, bei denen jeweils eine andere Klasse zum Zuschauen eingeladen ist. Die Hauptschule in Altmünster ist ein helles Gebäude. Man öffnet die Tür, geht ein paar Stiegen an den Garderobenkästchen vorbei und kommt in einen großen, offenen, etwa quadratischen, Zentralraum. Man muss ihn durchqueren, um zu den Treppen zu kommen, die zu den Klassenzimmern führen. Die Klassenräume befinden sich ab dem ersten Stock aufwärts an den Seiten des Gebäudes. Vom Gang aus kann man hinunter in die Aula sehen.

Die 3. Klasse ist im obersten Stock. Aus dem Klassenraum tönen Lärm und Geschrei. Die Tische sind zur Seite geschoben. Aufgeregtes Treiben – oder vielleicht ganz alltäglicher Pausentumult. Matthias Thonhauser ruft: „Lasst uns nochmals zusammenkommen!“ Barbara Kraus und Jack Hauser sprechen mit den SchülerInnen in kleinen Gruppen. Nach einiger Zeit stehen alle SchülerInnen, gemeinsam mit Barbara Kraus, Jack Hauser, Matthias Thonhauser und ihrem Klassenvorstand, Hand in Hand im Kreis. Während sie in die Kreismitte gehen, also den Kreis verkleinern, bis sie Schulterkontakt haben, geben sie einen Ton, der immer lauter wird. Offensichtlich ein Ritual, das sie kennen. Dann heißt es „Auf die Plätze“, und die Klasse stürmt aus dem Zimmer, auf ihre Positionen im Schulgebäude.

Eine andere Klasse kommt in den Raum. Es gibt eine kurze Einführung zum Ablauf. Die ZuschauerInnen werden von den beteiligten SchülerInnen den Weg erfahren. Ein Mädchen übernimmt sogleich: „Bitte hier entlang.“ Wir gehen die Treppe hinunter zum Gang. Auf den verschiedenen Plateaus, in der Aula, bei den Garderobenkästchen, auf den Treppen, werden Miniaturen gespielt, die Konflikte thematisieren. Zwei Mädchen wollen dieselbe Jacke. Sie raufen darum, bis sie kaputtgeht. Das Kaputtgehen wird mit einem reissenden Geräusch kommuniziert. Die Jacke bleibt ganz – es gibt ja noch einen zweiten Durchlauf. Zwei Buben schießen vom Gang hinunter in die Aula auf einen anderen, der dramatisch auf der Stiege stirbt. Zwei Mädchen spielen einen hänselnden Dialog, in dem sich herausstellt, dass die eine in die Hose gemacht hat. „Ein Lackerl und ein kleines Würstel.“

Bei den Garderobenkästchen sind wieder die Buben an der Reihe: Einer mit Hut, einer mit Zigarette und ein Dritter. „Du schaust aus wie ein Türke!“, sagt der mit der Zigarette, und es kommt zu einer Rauferei. Der Bub mit dem Hut hält die beiden anderen mit weit ausgebreiteten Armen auseinander. Buben und Mädchen sind in ihren Szenen getrennt. Nur in der letzten wird eine gespielte alte Dame in einem Gerangel von einem Buben und einem Mädchen die Stiegen hinunter geschubst. Die Szenen enden jeweils mit einem kurzen Innehalten, dann sagt eine der SpielerInnen, wohin es weitergeht. Die spielenden SchülerInnen sind konzentriert und aufmerksam. Alles läuft wunderbar. Nach jeder Szene gibt es Applaus. Der zweite Durchlauf ist schon weniger aufgeregt, und mehr Spielfreude ist zu spüren. Ihre Anwesenheit verliert an Scheu, die Stimme wird lauter, die Bewegungen bekommen mehr Sicherheit. Verlegenes, ungelenkes Lachen, leuchtende Augen.

Als Guido Reimitz, einer der Initiatoren von „I Like to Move It Move It“, zur Feedback-Runde kommt, wollen die SchülerInnen den Parcours nochmals für ihn durchmachen. Sie tun es und applaudieren sich diesmal gegenseitig. In der Abschlussrunde haben die SchülerInnen die Möglichkeit, das Wort weiterzugeben oder sich zu äußern. Bis auf zwei tun das alle. Sie äußern sich positiv. Sagen, es war seltsam am Anfang. Es wurde besser mit der Zeit. Es war gut, etwas gemeinsam mit den Anderen zu tun. Sogar dem einen, der zu Beginn dachte, „Was ist denn das für ein Scheiß?“, hat es dann doch recht gut gefallen. Die SchülerInnen oszillieren zwischen hundertprozentiger Anwesenheit, Offenheit, sich in Szene setzen und völligem Unbeteiligtsein. Blitzschnell sind diese Wechsel.

Die Klassenvorständin, die den ganzen Vormittag dabei war und sich unauffällig im Hintergrund gehalten hat, sagt, sie hätte – und darüber sei sie sehr froh – ihre SchülerInnen im Laufe des Projekts anders erlebt. Am Ende stellen sich alle wieder Hand in Hand im Kreis. Sie geben einen Ton, der immer lauter wird und schwingen mit den Armen ihre Energie in die Kreismitte. „Alles Gute!“ und „Auf Wiedersehen!“ von allen Seiten, das dann schon wieder in der Aufregung oder dem alltäglichen Pausentumult untergeht.


2. Paradox von künstlerischer Arbeit und Unfreiwilligkeit



Das folgende Gespräch wurde zum Abschluss dieses letzten Tages in der Hauptschule Altmünster geführt.

corpus: Wie war das für Euch als KünstlerInnen in dem System Schule zu arbeiten? Was für Erfahrungen habt Ihr mit den SchülerInnen gemacht?
Jack Hauser: Ich spreche erst einmal ganz persönlich. Wenn ich als Künstler alleine eingeladen worden wäre, mit einer Schulklasse zu arbeiten, hätte ich es nicht angenommen. Erst durch die Konzeption von „I Like to Move It Move It“ und Barbaras Einladung habe ich eine Idee bekommen und Möglichkeiten gesehen, wie man vielleicht mit SchülerInnen arbeiten könnte. Künstlerisch tätig zu sein und gleichzeitig mit einer Unfreiwilligkeit konfrontiert zu sein, ist für mich paradox. Als Künstler arbeite ich mit Leuten, die freiwillig, von sich heraus arbeiten. Man trifft sich bei Projekten und erarbeitet etwas gemeinsam. Ich habe keine pädagogische oder didaktische Erfahrung. In meinen bisherigen Arbeitszusammenhängen war das bis jetzt auch nicht wichtig oder notwendig.

Ich hatte mich darauf vorbereitet, mit meiner Klasse wandern zu gehen. Gehen, spazieren gehen, wandern als gemeinsame praktische Basis, und die Aufmerksamkeit auf die Geschichten und Entdeckungen lenken, die dabei entstehen. „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ habe ich es genannt. Das waren meine Gedanken im Vorfeld. Die Realität war ganz anders. Die SchülerInnen müssen erst einmal motiviert und animiert werden, etwas von sich einzubringen und gemeinsam aktiv zu werden.

Wir wollten eine Praxis anbieten, nämlich: wir beginnen jeden Tag auf dieselbe Art und zwar mit Körperübungen. Barbara konnte glücklicherweise solche Übungen anleiten. Für die SchülerInnen war es nicht sehr nachvollziehbar, warum sie so etwas machen sollten. Das hat Anfangs zu großem Unverständnis geführt. Spiele haben besser funktioniert. Aber wenn man gesagt hat, wir stellen uns in den Kreis, ziehen die Socken aus und spüren die Fußsohle am Boden, dann war das für die SchülerInnen sehr, sehr eigenartig.

Nach der ersten Aufregung konnte ich immer mehr die Zeit wahrnehmen, die wir innerhalb dieser Schulpflicht einnehmen, ja eigentlich besetzen. In gewisser Weise ist es wie ein Squattingprojekt. Wir sitzen in diesem System, wir haben keinen Lehrplan, wir können mit Autorität völlig frei umgehen und sie nach Möglichkeit gestalten. Wir sind in einem sehr freien Raum. Die Jugendlichen lernen andere Erwachsene kennen. Nicht nur Lehrer, Eltern, Schulwart oder den Inspektor, sondern andere Erwachsene, die anders sprechen, andere Ideen haben, ihr Leben anders gestalten. Das wurde für mich mit der Zeit immer wesentlicher.

Barbara Kraus: Das Projekt war ja ursprünglich so gedacht, dass eigentlich ein Künstlerteam zusammen arbeiten sollte und jeweils eine Person für eine Schule hauptverantwortlich war und von der anderen unterstützt wird. Das war die Idee.

Für die Schule, die in meinen Verantwortungsbereich gefallen wäre, hatte ich ein ganz spezifisches Projekt im Kopf: eine Recherche zu widerständigen Kunstpraktiken, die es in der Geschichte ja immer wieder gegeben hat. Darum hatte ich auch Jack eingeladen, weil ich weiß, dass er diesbezüglich sehr großes Wissen hat. Ich dachte mir, es wäre spannend, mit SchülerInnen über ihre Visionen von Welt und über Globalisierung zu sprechen.

Dann ist mir allerdings eine Klasse mit 12-jährigen zugeteilt worden, die, so wurde mir gesagt, sehr politisch ist. Ich dachte: „12 Jahre?!“ Ich wollte offen sein und habe zugesagt. Schlussendlich war es dann aber so, dass auf die Frage: „Was ist euch wichtig im Leben?“ als Antwort kam: „Die Meerschweinchen, der Hamster, die Schwester…“ Das ist die Welt, in der sie leben. Außerdem war ganz klar: Sie wollen etwas machen und zwar ein Stück. Das war so eine fixe Idee: da kommen zwei KünstlerInnen und machen ein Stück mit uns. Das war ihr großer Wunsch. Mit ihrem Lehrer machen sie Improvisations-Theater. Zu uns haben sie gesagt: „Nicht schon wieder Improvisation!“ Sie wollten ein Stück machen und Elfen, Elefantenkrieger und Agenten sein.

Eigentlich war mein Prozess mit ihnen, herauszufinden, was sie machen wollen, sie darin zu unterstützen und sie in den Enttäuschungen während der Realisierung zu begleiten. In sieben Wochen sind bestimmte Dinge möglich und andere eben nicht.


corpus: Würdet Ihr sagen, dass es erst einmal um ein Ausloten geht, wo bin ich da, was sind die Interessen, was ist die Dynamik innerhalb dieses Systems, dieser Gruppe?



Barbara Kraus: Du kommst tatsächlich in ein System, das du selbst sehr gut kennst. Du hast es am eigenen Leib erfahren und erkennst es sofort wieder.

corpus: In Bezug auf die Struktur der Schule oder durch das Verhalten der Kinder?

Barbara Kraus: In Bezug auf die Struktur und was diese Struktur mit Menschen macht, die sich darin bewegen. Es ist wie ein Aufbewahrungsbehälter für Kinder und es gibt irgendeinen abstrusen Plan, den du als LehrerIn durchziehen musst. Du betrittst ein Feld, und dieses Feld macht etwas mit dir. Ich habe mich in Mechanismen wiedergefunden, die ich auch aus meiner eigenen Schulzeit kenne. Sowohl mich als Schülerin, als auch – wie die Situation jetzt war, als Person, die etwas kommunizieren oder teilen möchte.

corpus: Wie war das dann, als Jack Hauser nach drei Wochen weg musste und Matthias in das Projekt eingestiegen ist?



Barbara Kraus: Der Wechsel hat an einem Zeitpunkt stattgefunden, an dem eine Krise offensichtlich wurde. Ich hatte in der Hauptschule und im Gymnasium eher die leitende Rolle. Ich bin an einem Punkt gekommen, wo ich gespürt habe, da ist eine ziemlich gewaltsame Front in der Klasse und ich brauche Unterstützung. Es gibt so viele Geschlechterstereotypen in dieser Klasse und Gewalt. Ich wollte das aufgreifen und habe Matthias um Unterstützung gebeten. Wir gehen nach sieben Wochen wieder, aber die SchülerInnen sitzen weiter in einer Klasse zusammen, das heisst, sie haben etwas zu verlieren, zu gewinnen oder etwas zu verteidigen.

corpus: Du meinst innerhalb ihrer Position in der Klasse?



Matthias Thonhauser: Das war für mich ein wesentlicher Punkt, der mich beschäftigt hat.

corpus: Was passiert, wenn ihr wieder weggeht?



Matthias Thonhauser: Es ist sehr verständlich, dass sich SchülerInnen auf manches einlassen und auf anders nicht. Wenn etwas aufbricht, sind sie diejenigen, die damit umgehen müssen. Wenn sie Glück haben, haben sie Unterstützung, wenn nicht, dann ist es ihr alleiniges Pech. Wenn ich an einem Prozess beteiligt bin, schaue ich was da ist. Die Rollen und das Skript sind meist schon da. Für mich ist es wichtig, Räume zu öffnen, wo sich das weiter entwickeln kann und Dinge dadurch thematisiert werden. Das ist ein Handwerk, das ich vom Forumtheater mitbringe. Ich habe in der Hauptschule den Vorschlag gemacht, Konflikte zu spielen, sie bewusst zu kreieren. Daraus entstehen dann Szenen von Streit, Gewalt usw. Darf das sein? Muss es da nicht ein positives Ende geben?



Jack Hauser: Bis gestern war das noch der Plan.



Matthias Thonhauser: Und gestern war dann auch klar, das ist so und das kann auch so stehen bleiben, ohne dass jemand Schaden nimmt. Es ist ein Spiel. Sie haben Szenen gestaltet, in die sie sich einbringen. So wie sie sein wollen und auch wovor sie Angst haben zu sein. Für mich ist immer die große Frage, wie man mit Irritationen umgehen kann, die während dem Arbeiten, den Übungen und Spielen entstehen. Ich meine Irritationen auf beiden Seiten. Also auch wie sie auf das einsteigen, was ich vorschlage. Was passiert mit diesen Irritationen? Setzt sich diese Energie als kreativer Prozess fort, oder verebbt er.



corpus: Habt ihr das gemeinsam thematisiert? Wie seid ihr damit umgegangen?

Matthias Thonhauser: Es gibt unterschiedliche Formen, damit umzugehen, man verhandelt. Es gab zum Beispiel eine Irritation bei dem Spiel: „Den Ball weitergeben“. Es gibt in der Klasse einen großen Gymnastikball, mit dem immer herumgeschossen wird. Der Ball war da. Ich habe gesagt, sie sollen den Ball in der Gruppe im Kreis weitergeben. Es ging mir um die Qualität des Kontakts. Etwas weiterzugeben und auch etwas in Empfang zu nehmen. Für mich war das wichtig. Ich wollte dran bleiben und es auch den SchülerInnen zumuten.

Barbara Kraus: Das ist ein sehr gutes Beispiel, wie man Stereotypen erfahrbar machen kann. Ball weitergeben war für sie am Anfang: Ich gebe dir den Ball. Du lässt ihn dir aber nicht von mir geben, sondern reißt ihn mir aus den Händen. Oder andere Variante: ich gebe dir den Ball weiter, indem ich ihn dir ins Gesicht werfe. Dann haben wir die Aufgabe gestellt, wie kann ich den Ball so schnell wie möglich weitergeben und es trotzdem sanft tun.

corpus: Was sind Kriterien für SchülerInnen, dass etwas als Spiel angenommen wird und nicht als Übung? Socken ausziehen könnte ja auch ein Spiel sein.



Jack Hauser: Wir haben zum Beispiel „Bilder stellen“ gespielt. Eine Gruppe stellt ein Bild und andere stellen sich dazu. Buben bauen ein Raufbild, das durch Mädchen nachgestellt wird. Raufen und schreien war Thema. Wir haben gesagt: Schreien wir gemeinsam, machen wir Schreiduetts. Oder, rauft so, dass ihr es wiederholen könnt. Wir haben sie raufen lassen, sogar die Mädchen wollten mitmachen bei dieser Raufchoreografie. Dann geschieht eine Transformation

.

Matthias Thonhauser: Für mich ist die Grenze zwischen Spiel und Übung schwimmend. Das ist auch kontextabhängig. Wenn eine Gruppe sagt, nein, bitte kein Spiel, dann kann ich eine Übung vorschlagen, zu der ich woanders Spiel sagen würde.

Barbara Kraus: Es ist auch lustig zu sehen, wie man etwas benennt und wie sich das dann auswirkt. „Aufwärmen“ ist im Gymnasium zum Beispiel ein Antiwort geworden. Wenn man aber sagt, machen wir ein paar Spiele, rufen alle hurra.

corpus: Welchen Einfluss hatte die Präsentation auf den Prozess? Hat sich dadurch etwas verändert?

Matthias Thonhauser: Wir haben sehr kurzfristig gesagt, dass wir eine Aufführung machen. In der Hauptschule eigentlich erst vorgestern. Ein Mädchen hat gefragt: „Machen wir ein Stück?“ Und ich habe gesagt, wir sind schon mitten drin. Mein Eindruck war, dass es die Energie als Gruppe noch einmal gebündelt hat.



Barbara Kraus: Sie haben sich dann auch ein Stück weit gegenseitig unterstützt. Das war am Anfang gar nicht selbstverständlich, sich gegenseitig zuzuhören, oder einander zu applaudieren.

corpus: Welche Spuren könnte die Arbeit in den Schulen oder bei Euch hinterlassen? Was würdet Ihr Euch wünschen?



Barbara Kraus: In den ersten zwei Wochen dachte ich: Super, ich werde Lehrerin! Ich hatte so viel Energie – man bekommt so viel Energie, und mir hat es so sehr Spass gemacht, immer mit so vielen Leuten zu tun zu haben. In der einen Woche, in der Jack weg war und die Krise kam, dachte ich, das ist die schlimmste Woche meines Lebens. Es war gut zu erleben, dass sich das auch wieder ändert. Ich schaue jetzt Kids anders an, wenn ich 12- oder 13-Jährige auf der Straße sehe. Ich habe einen anderen Blick. Sie sind realer geworden.

Die große Frage, die für mich bleibt, ist die über Methodik oder Unmethodik. Ich habe keine Antwort.
Aber wie kann ich Kinder in mein Universum einladen. Die Freude und große Lust des Performens ist für mich, etwas Anderes sein zu können, das normal nicht sein darf. In der Mittelschule haben wir gefragt, was sie zur Unterstützung bräuchten. Ein Mädchen hat gesagt :„Ich bräuchte Unterstützung im Bösesein.“ Das kam plötzlich von einem ganz braven Mädchen.



Jack Hauser: Für mich wäre das Schönste, wenn irgendwie ein Interesse an Kunst geweckt worden wäre. Dieses Gefühl, die Welt der Kunst und der KünstlerInnen ist eine wahnsinnig tolle Welt und ganz wichtig. Wenn da ein kleiner Keim gesetzt wurde, der sich irgendwann wieder öffnet.



corpus: Kunst als…

Jack Hauser: Kunst als etwas Wesentliches für den Menschen. Dass Kunst nicht nur in Ausstellungsräumen stattfindet. Kunst als etwas, das wichtig ist. Egal, ob man es selber macht oder man sich leidenschaftlich dafür interessiert. Ich glaube, wenn ich mit 12 Jahren so ein Projekt miterlebt hätte, wäre ganz schön etwas in Bewegung gesetzt worden. Allein, weil alles so anders wird. Plötzlich wird die Welt größer.

Barbara Kraus: Was mir wichtig wäre, als Spur zu hinterlassen, ist das Gefühl, dass man etwas gemeinsam mit anderen tun kann, man kann etwas gemeinsam in die Welt setzten.

Matthias Thonhauser: Meine Hoffnung ist, dass in diesen Wochen ein Freiraum erfahren wurde, in dem etwas entsteht und in dem man etwas kreieren kann. Zu erleben, ich bin künstlerisch tätig, wenn ich etwas tue und mich einlasse. Das ist ein Potential, das in mir steckt. Diese Anregung würde ich gerne hinterlassen.



Barbara Kraus: Im Gymnasium haben sie sich wirklich gemeinsam eine Geschichte ausgedacht. Nicht eine Person alleine, sondern alle zusammen. Das ist schon beachtlich.



Jack Hauser: Und jetzt diskutieren sie, ob es ein gutes oder böses Ende haben soll.

KünstlerInnen:
Barbara Kraus: Lebt und arbeitet in Wien. Ihre Ausbildung erhält sie an der School for New Dance Development in Amsterdam. Ab 1994 ist sie im freien Fall unterwegs in Sachen Kunst, Text, Inszenierung, Musik und Performance. Seit 2004 ist sie Sängerin in der Band „laut Vereinbarung“ und seit 2006 unterrichtet sie Performance, Stand-Up-Formate und Personal/Fictional/Social Storytelling. Ihre Arbeiten werden u.a. gezeigt im Westend 05/Leipzig, Flying Circus/Singapur, Kaaitheater/Brüssel, Baltoscandal/Rakvere, Panacea/Stockholm, bei ImPulsTanz/Wien und in Berlin, Lissabon, Zürich, Beograd, Budapest, Ljubljana, Bukarest, Basel, Bern, Bremen, Genf und Lausanne.

Jack Hauser: Geboren 1958 in Horn, Niederösterreich. Von 1983 bis 1986 studiert Jack Hauser elektroakustische Musik. 1994 ist er Gründungsmitglied von lux flux, zahlreiche internationale Gastspiele folgen in den Jahren 1994-2000. Unter dem Titel „Der Name. Die Hülle. Das Abenteuer.“ gestaltet Jack Hauser performative bildnerische Interventionen und experimentelle Arbeiten mit diversen Medien, die so seit 1999 betrieben und betreut werden. Exemplarisch dafür stehen die zeitbasierten Performances zur „Wohnung Miryam van Doren“, die eingeflochtenen Reiseprojekte zur Fiktionautik, die Serie „LIVE:Paul Sernine & Miss Coochie“ und die lose Gruppe „Secret Service“. Zahlreiche kollektive, kooperative, choreografische Projekte u. a. mit Milli Bitterli, David Ender, Sabina Holzer, Inge Kaindlstorfer, Barbara Kraus, Elke Krystufek, Machfeld, Markus Schinwald, Myriam Van Imschoot und Simon Wachsmuth u.a. Jack Hauser ist seit 2005 Redaktionsmitglied bei corpus.

 (23.6.2009)