MANIFEST IN PROCESS für Sabina Holzer
Von Elisabeth Schäfer
Sei es gewollt oder ungewollt – wir leben zusammen mit vielen Millionen – Milliarden – anderen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen auf diesem Planeten. Einem Planten, der gleichzeitig materielle wie auch imaginäre Zonen enthält. Ich schreibe nicht „umfasst“. Weil das allzu abschließend klingt. Nein, es sind materielle und imaginäre Zonen und vielleicht, sehr wahrscheinlich, sind es noch mehr. Noch andere. Zukünftig erst zu entdeckende. Für die wir noch keine Namen haben. Dieser Ort mit vielen Zonen. Hier sind wir.
Das heißt, dieser Planet ist uns vielfältig gegeben. In Phantasien und Fakten, in Mineralien und Worten, in Silben und in Elementen. All dem buchstabieren wir in der Geschichte der Natur, in unseren Kulturen, Wissenschaften und Künsten usw. nach. Wir sind mit fabrizierten und nicht fabrizierten, mit natürlichen und technischen und sogar „natur-technischen“ Gebilden verwandt, die den Wunsch nach und die Furcht vor einer Trennung zwischen Natur und Kultur immer schon ad absurdum führen. Unsere Herkünfte, unsere Familien, unsere Körper, unsere Psychen, unsere Worte, unsere Schriften, unsere Bewegungen werden durch alle materiellen, körperlichen und zugleich zeichenhaften Praktiken hervorgebracht, wie unsere Bewegungen und Tänze, die Schrift, die Stimmen etc.
Alle diese Praktiken be/zeugen uns stets als transsubjektive, translokale (also auch transnationale), transensible, spezies übergreifende Assemblage oder als dieses riesige zusammengesetzte Molekül, das wir sind. Alle Elemente, alle Anteile dieses Moleküls haben bekannte Namen: Gene, Samen, Gehirne, Bäuche, Wörter, Fersen, Silben, Phoneme, Schuppen, usw. Diese elementaren Zusammensetzungen von Leben und Nicht-Leben sind jedoch alle in gewisser Weise giftig, so wie Aluminium. Sie gewinnen ihr Leben und ihre Bedeutung durch eine symbolische technowissenschaftliche Praxis, die uns menschliche und nicht-menschliche Wesen zusammenbindet. Und weil wir im Sinn und in der Bedeutung zusammengebunden und gleichermaßen auch getrennt werden können, weil die Silbe und das Atom, das Element und das Wort sich verbinden und sich auch trennen können, genau deshalb müssen wir auf jenen Kitt, jene Verbindungen und Trennungen schauen.
In diesen Praktiken sehen wir unsere größte Verantwortung. Unsere Entstehungserzählungen erzählen nicht nur von unseren Subjektivitäten als Schwestern* oder Brüder* von Ödipus, als Tochter der Erde oder als Geliebte der Medusa, sondern sie erzählen auch von dem Aufrechterhalten globaler ewig gleicher Stereotype von quasi „elterlichen“ vergifteten Beziehungen. Vater der Kultur. Mutter der Erde. Tochter der Natur. Sohn des Lichts. … Wir leben in den Verwerfungslinien, und teilen allzu oft das Projekt, das Dilemma und die zweideutige Frage: Wie können wir in diesen Zeiten mit unserer Arbeit dazu beitragen, den Wunsch zu leben und zu überleben materiell und perspektivisch am Leben zu erhalten? Nicht nur für uns oder für einzelne sondern für mehr. Diese Sehnsucht und Verwandtschaft zu suchen in Metamorphosen, in imaginären Figuren, in Literatur und Kunst sowie in der Philosophie, in all diesen poetischen Mischformen und all den anderen unmöglichen Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens. Es sind genau diese Bündnisse, die im Bauch des Monsters geschmiedet werden müssen, das manche die Neue Weltordnung nennen. Um uns herum und in jeder Faser unserer Körper können wir die Implosion unserer aktuellen kulturellen und wissenschaftlichen, aber auch künstlerisch entwickelten Kategorien und Denkwelten registrieren. Es fliegt auseinander. Und es braucht neue Register, Begriffe, Sprache usw.
Eine neue Poesie, um in den lebendigen und virtuellen Körpern, die in den miteinander verbundenen Netzwerken der Wissenschaft, der Welt des Denkens und der Kunst bezeichnet und materialisiert werden. Nur so können wir die Kollisionen der technischen, textlichen, poetischen, politischen, organischen, anorganischen, traumartigen, psychischen, physischen, wirtschaftlichen und mythischen Entitäten und Ideen überleben. Alle Arten von Grenzen werden aufgelöst und müssen daher von uns neu gezogen werden wie eine Schrift und die Poesie der Zwischenzonen, die Zonen der Vermittlung, die einen Prozess formen und informieren, die sowohl die größten Gefahren als auch die größten Verheißungen in sich bergen, diese Orte müssen wir lustvoll lernen zu entdecken. Und das sind sicherlich die Orte, an denen wir in unserer Zeit das höchste Maß an Engagement zeigen sollten. In diesen Zonen der Unsicherheit, des radikalen Abgrunds, sind wir in Berührung mit den Ambivalenzen von gender, race, class, nation, culture, nature und vielen anderen Kategorien mehr. Und diese zeigen sich deutlich als das, was sie schon immer waren – als sedimentäre Beziehungen, als Beziehungen von Körpern, die keine abgeschlossenen Dinge an sich sind, keine vorherbestimmten Subjekte, die von Objekten strikt getrennt sind, die sich in einem stabilen Raum bewegen, sondern die sich ständig und von Natur aus im Prozess des Seins, des Entstehens, des Werdens bewegen. In Zeiten der Implosion werden Entitäten, die einst voneinander getrennt schienen, mit Macht ineinander geworfen.
Das bedeutet aber auch, dass wir in Zeiten solcher Implosionen von Systemen uns als erstarrte, mutierte Wesen verloren gehen – als Nationen, Artefakte, Identitäten, Maschinen, Praktiken, Krankheiten, Körper, Lebens- und Todesarten. Wenn, wie wir vermuten, Wissenschaft und Kunst tatsächlich konkrete Praktiken sind, die Implosionen bezeichnen, verkörpern und erzeugen, in denen Raum und Zeit für uns transformiert werden, dann leben wir nicht in einem Zustand der isolierten Fragmentierung, sondern in dem der intensiven, gefährlichen, sogar giftigen, aber produktiven Fragmentierung und Verschmelzung und damit in Transformation. Und wenn das Denken und die Künste ein Geflecht von Praktiken sind und nicht einem vorgegebenen historischen Skript folgen, dann werden wir gerade in der Gestaltung dieser Praktiken unsere eigenen Handlungsfelder und unsere Wünsche nach lebenswerteren Welten finden, anstatt uns vor ihnen zu verstecken.
Unsere Tänze im Denken und auf dem Papier, unsere Bewegungen auf dem Boden und in der Gesellschaft, unsere Choreographie des Zusammenseins sind klebrige und zugleich lose Fasern, die für uns die Welt bilden, durch die wir eine gemeinsame Welt füreinander und miteinander neu gestalten. Sie, Du und Es, wir weben die Gespinste des Schmerzes, der Vitalität und der Verheißung, die Einschränkung der Freiheit, der Natur und der Kultur widerstehen, um uns lebendig und verwandelbar zu halten.
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Manifest in Progress for Sabina Holzer
By Elisabeth Schäfer.
Whether intentionally or unintentionally – we live together with many millions – billions – of other human and non-human beings on this planet. A planet, a place that contains both material and imaginary zones. And perhaps, very likely, there are more. There are others. Zones to be discovered in the future. For which we have no names yet. This place with many zones, here we are.
This place, this planet, is given to us in many ways. In fantasies and facts, in minerals and words, in syllables and elements. We spell it all out in the history of nature, in our cultures, sciences and arts etc. We are related to manufactured and non-manufactured, to natural and technical and also to „natural-technical“ entities. These entities have always made the desire for and the fear of a separation between nature and culture absurd. Origins, families, bodies, psyches, words, writings, movements are produced by all material, physical and at the same time symbolic practices. Our movements and dances, the writings, the voices etc. bear witness to all these practices, always witnessing us as a transsubjective, translocal (i.e. also transnational), transensible, species-overlapping assemblage. We are this huge composite molecule. All elements, all parts of this molecule have known names: genes, seeds, brains, bellies, words, syllables, phonemes, scales, skins, etc.
However, these elementary compositions of life and non-life are all toxic in some way, just like aluminium. They gain their life and meaning through a symbolic techno-scientific practice that binds us human and non-human beings together. And because we can be bound together in sense and in meaning, and equally separated, because the syllable and the atom, the element and the word can connect and also separate, that is why we look at those connections and separations. Perhaps our greatest responsibility lies in these practices. Our genesis narratives not only tell of our subjectivities as sisters* or brothers* of Oedipus, as daughters of the earth or as lovers of Medusa, but they also tell of the perpetuation of global eternally identical stereotypes of quasi „parental“ relationships. Father of culture. Mother of the Earth. Daughter of nature. Son of light, etc. … We live in these fault lines, and all too often share the project, the dilemma and the question: How can we contribute with our work in these times to the desire to live and survive, to keep this desire alive – materially and perspectively? Not only for us or for individual others but for more. To seek this longing and kinship in metamorphoses, in imaginary figures, in literature and art, in philosophy, in all poetic hybrid forms and all the other impossible forms of cooperation and living together. Is it not precisely these alliances that must be forged in the belly of that monster that some call the New World Order. Around us and in every fibre of our bodies we can register the implosion of our current cultural and scientific, but also artistic categories and worlds of thought. It needs new registers, terms, language, etc.
Poetry, in order to be described and materialized in the living and virtual bodies that are designated and materialized in the interconnected networks of science, the world of thought and art. Only in this way can we – perhaps – survive the collisions of the technical, textual, poetic, political, organic, inorganic, dreamlike, psychic, physical, economic and mythical entities and ideas. We register that all kinds of borders are being dissolved and therefore they have to be drawn to us anew – like in writing. Poetry of the intermediate zones, the zones of mediation that form, shape and inform a process, that contain both the greatest dangers and the greatest promises. These are the places we have to learn to discover. And these are certainly the places where we can show the highest level of commitment in our time. In these zones of insecurity, of the radical abyss, we are in touch with the ambivalences of gender, race, class, nation, culture, nature and many other categories.
And these clearly show themselves as what they have always been – as sedimented relationships, relationships of bodies that are not closed things in themselves, not predetermined subjects strictly separated from objects, and which move in a stable space, but which are constantly and inherently moving in the process of emergence, of becoming. In times of implosion, entities that once seemed separate from each other are thrown into each other with great power. But this also means that in times of such implosions of systems we get lost – as subjects, as nations, as artifacts, as identities, machines, practices, bodies, ways of living and dying.
If, as we suspect, science and art are indeed concrete practices that designate, embody and produce such implosions, in which space and time are transformed for us, are we not living in a state of intense, dangerous, even toxic, but productive fragmentation and fusion – and thus in transformation? And if thinking and the arts are a network of practices and do not follow a given historical script, then it is precisely in the design of these practices that we will find our fields of action and desires for more livable worlds – instead of hiding from them.
Our dances in thought and on paper, our movements on the floor and in society, our choreography of being together are sticky and at the same time loose fibres that form the world for us, through which we redesign a common world for each other and with each other. She, you and It, we weave the webs of pain, vitality and promise, resisting the restrictions of freedom, nature and culture to keep us alive and transformable.
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