GROSSER + KLEINER FANTÔMAS

Sabina Holzer, 2017


Mit dem Greifen ein unerhofftes Entgleiten.

1 Annäherung an der Traum
Und fließen und Fluß. Gießen und Guß. Das Wasser, die Tropfen, die Linien entlang der Oberfläche. Reinigend. Durchdringend. Aufdringlich und unauffällig zugleich. Zergliedernd und zusammenhängend. Entlang der Schlucht. Entlang dem Abgrund. Grundlos entlang der Linie. Dieser Fall des Wassers. Dieser Umsturz. Dieser Bruch. Dieses plötzliche Verschwinden, das hindurch sickert. Sich aufwölbt dort wo wir uns treffen. Im Gewölbe. Mein Kamerad ist eine dunkle Kammer. Wenn das Licht uns besucht, durch eine Spalt sich schießt und gleitet, geben wir Eigengewicht und Drucklast weiter. Unter dem Bogen des Himmels. Den Pfeil gespannt. Als Durchgang.
Im Schatten des Traums erkenne ich Dich kaum, doch Du reichst mir Deine Hand. Was soll ich lesen um Dir zu begegnen? Mich selbst? Alles andere? In dieser Berührung. Diesem Bild, das sich auf fächert und faltet. Ich falle hindurch, stürze wie das Wasser, wie Luzifer durch diesen plötzlichen Riß, ins Gesicht, durch Deine Augen, kaum geöffnet,
ein Blinzeln im Licht. Teil dieses Bildes werden. In dieser Übergabe für eine Ewigkeit. Für diesen glücklichen Pakt, diesen fantastischen Pakt. Ein haltloser Zugriff. Erkennende flüchtige Anerkennung. Ein Zwinkern im Süden. Fantômas. (Da wo) das Wasser karg ist. Nahe dem Meer aber doch nach oben dringt von unter den Steinen. Salzige Luft.
Nur nahe dem Meer will ich leben, nahe dem Rausch. In dieser Berührung, dieser Liebe, diesem geheimnisvollen, kostbaren, köstlichen Fließen. Du im Kreis der drei Frauen. Liebe, Achtsamkeit und Abenteuer. Hinter Dir die drei Männer, Fürsorge, Stille, Vertrauen. Sie alle tanzen. Und Du mit ihnen. Um eine Gestalt ohne Maß. Zu sein. Zu Werden. Hier und nicht hier zugleich. Auch das Bild besteht nur aus Farben und Linien und die Photographie ist eine Zeichnung aus Licht.

2
Das Bild versammelt Kraft und Himmel mit der Sache selbst. So auch dieser Gang. Ein Durchgang. Eine intime Einheit einer Versammlung. Nicht eine Sache, und so auch nicht ihre Nachahmung. Eine Zusammenführung von Unterschiedlichem. Plastizität. Die Sachen haben sich eigensinnig freigespielt, sich abgelöst. Gehen auf in Falten und Schichten. In diesem Durchgang. Hat sich eine Gang versammelt, aufgespannt durch die Zeit. In ihrem Tempo wird das Objekt zum Bild, die Situation zur Empfindung.
Zur Begegnung. Von alten und neuen Freunden: Marisa Mehl, Elke Krystufek, Diabolik, Patti Smith, Luther Blissett, China Miéville, John Zorn, Kurt Kren, Batman, Catwoman, Modesty Blaise, Witold Gombrowicz, Pj Harvey und die Rose. Und vieles mehr. Mütter. Leben und Tod fließt hier ineinander. Ist geronnen.
Fließt weiter. Aufgehoben und geborgen als Kosmologie. Raumkrümmungen und Naturkonstanten. Freundinnen und Stars. Kindheitsvergangenes. Melancholie und bunte Klebebänder und Bilder. Gesichter als Lichtreflexionen, als Wiederholung in farblicher Wiedergabe. Die alte Frau und Luther Blissett.
La fille de Fantômas lächelt. Der Vater blickt nachdenklich über die Stadt. Das Unheimliche, Unberechenbare ist im Subjektiven verborgen. Manche Geister haben hier einen Namen und einen Ort. Haben sich niedergelassen.
Andere üben sich in Zwischenräumen, um in anderen Gedanken wieder aufzutauchen. Legenden. Wiedergänger. Keine anonymen Zombies. Wanderungen von Linien, Farben, Buchstaben und Figuren. Gedanken und Deutungen: Auch ich, auch du bist diese Sache. Dieses Bild, dieser Durchgang, dieses nichtsprachliche Sagen. Es geht nicht um
Identität oder Bedeutung. Nicht um eine Pfeife, zum Beispiel. Nur das Bild, das sich als Bild erhält und weitergibt. Im Gang ist. Photographie, Zeichnung, Druck, Kopie, Abdruck, Figur, Pflanze, Objekt (objets trouvés).
Sie heben sich hervor und sinken ineinander. Wenden sich zu und ab. Als Ensemble von Praktiken und Gegenständen, zwischen denen unterschieden werden kann. Fluchtlinien in Fiktionen. Bestimmte Mixturen. Technische und administrative Praktiken, um neue Räume zu erschließen. Mit Marcel Duchamp, der sagt, dass die Wahl seiner Readymades nie von einer ästhetischen Lust diktiert wurde. Sie beruht auf einer visuellen Indifferenz, die gleichzeitig eine Abwesenheit vom guten oder schlechten Geschmack bedeutet. Eine Art völlige Anästhesie. Einen Rausch. Einen Schwindel. Ein Wellengang in
diesem Gang. Ein fortwährendes Drehmoment. In das Bild gestiegen. Durch das Bild gegangen. Facettenreich dieses Menü.

Dieser Gang mit seinen Gängen, seiner Drehzahl. Dieser Ort. Diese Zusammenkunft. Diese Kraft, welche die Form zwingt sich selbst zu berühren und sich aufzuheben. Bildträger: Karten, Fotopapier, Buchumschläge, Postkarten, Pflanzenblätter.
Mit sich selbst ident und doch nicht existent. Der Sinn ist im Gang Bewegung. Aus sich heraus getreten, übergegangen, oszillierend. Demaskierende Maske, hingegeben im Übergang.

Für Jack.