Sabina Holzer ’13
„Courage“ von Claudia Heu, Lisa Hinterreithner, Roland Schmidt und
Igor Dobricic im Tanzquartier Wien.
Diesmal sind wir nur zu viert in der Halle G des Tanzquartiers Wien. Wir, das sind vier Besucher_innen von „Courage“, werden bei der Kassa freundlich in Empfang genommen und nach unten begleitet. Wir können uns Zeit nehmen, so wird uns gesagt, und wenn jemand fertig ist kann er / sie über die Hinterbühne die Veranstaltung jederzeit verlassen.
„Courage“, bedeutet Mut, sich ein Herz fassen, vielleicht auch „sich zusammen nehmen“, um den Mut des Herzens, auch tatsächlich begreifen können, – und ist eine Installation von Claudia Heu in Zusammenarbeit mit Lisa Hinterreithner, Roland Schmidt und Igor Dobricic. Und hier ist das ganze Setting Teil der Installation, Teil der Erfahrung: die begrenzte Teilnehmer_innenzahl, die Begrüßung, die Begleitung zur Halle G und schließlich das Auf-sich-gestellt-sein im großen Theaterraum. Die Tribüne ist leer und offen. Auf der Bühne stehen acht Monitore, kreisähnlich angeordnet, mit verschiedenen Sitzmöglichkeiten davor, meist in Bodennähe.
Zuhören. Anderen und sich selbst.
Vor diesen Monitoren kann sich die Besucher_in niederlassen und über Kopfhörer einen Text, gesprochen von Claudia Heu, folgen. Die Monitore sind gerade groß genug um ein Gesicht in natürlicher Größe zu zeigen. Und es ist Claudia Heu selbst die aus jedem Monitor, mit leichten äußerlichen Veränderungen, auf unterschiedliche Weise zu uns spricht. Sie erzählt von einer Flucht in ein anderes Land, über Bürgerkrieg, von heilenden und therapeutischen Denkansätzen, fragt ob es möglich ist seine Identität zu verändern, sich neu zu erfinden und wie abhängig das von dem jeweiligen Land ist, in dem man / frau lebt, sie erzählt über die Arbeit in einem Hospiz und die Auseinandersetzung mit dem Sterben. Sie spricht als Jugendlicher, der Angst hat keine Arbeit zu bekommen und über die Erfahrungen einer Human Rights Activistin, die gerade ihr Ph.D. schreibt.
Heu hat mit verschiedenen Menschen von unterschiedlicher Herkunft über ihre Erfahrungen mit Übergängen und eingreifenden Lebensereignissen gesprochen und diese Gespräche transkribiert. In der Installation sind nur die Erzählungen der Gesprächspartner_innen zu hören, die Fragen bleiben offen und werden nicht wiedergegeben. Heu erzählt unspektakulär, in einem offenen, nuancierten selbstverständlichen Sprechen. Manchmal bekommt man den Eindruck, sie läse den Text ab. Durch die Pausen und die unvorhersehbaren Wendungen, die durch die nicht hörbaren Fragen oder Zwischenbemerkungen entstehen, wird das Gesprochene, poetisch verfremdet. Die inhaltliche Intensität jedoch wird dadurch nicht gemindert. Im Gegenteil, durch diese leichte Verschiebung entsteht ein künstlicher Zwischenraum, der der Zuhörer_in Platz gibt sich einzulassen. Die Reihenfolge ist nicht vorgegeben, man wählt sie selbst, in dem man dem eigenen Belieben folgt, wo man sich als nächstes Niederlassen möchte. Und so sucht jede/r den eigenen Weg durch den Bühnenraum und durch die Geschichten, und hat am Ende das Gefühl, genau diese, selbstgewählte Abfolge, wäre die genau richtige gewesen.
Ort der Erinnerung und Begegnung.
„Courage“ ist eine (Rite de) Passage. Die Halle G des Tanzquartiers Wien wird hier zu einer Erfahrung des Übergang im doppelten Sinn. Zum einen durch den Weg, den man zurücklegt. Zum anderen führen einem diese Erzählungen zum eigenem Erlebten. Man fühlt sich als Teil von Menschen, die mit schwierigen Situationen umgehen, einen Umgang gefunden haben. Wird sich einmal mehr über all die großen und kleinen Variationen von Möglichkeiten bewusst, sich für sein Leben zu entscheiden, damit aktiv zu sein und nicht „Opfer“ zu sein. Die Erzählungen formen ein kollektives Gewebe, in das man eingebunden ist; eine Textur, die einen eigenen Schwebezustand erzeugt: den anderen zuhörend, auf sich selbst verwiesen.
Trotz seines installativen Charakters bezieht sich „Courage“, in dem es auf der großen Bühne des Tanzquartiers stattfindet, auf die Grundbedingungen des Theaters, als ein Ort der Begegnung und des Erinnerns. Als ein Ort des Geschichtenerzählers und der Mit-teilungen. Als ein Ort, an dem Zwischenmenschliches stattfindet; an dem man sich für eine Zeit konzentriert und sich etwas widmet; an dem Unsichtbares eine Form bekommen kann. Hier ist Heu Medium und Stimme, für die, die keine öffentliche Stimme haben und für das, was meist vertraulich bleibt. Sie findet den richtigen Ton für die einzelnen Geschichten. Ihr Äußeres leicht verändert, wird sie immer anders und bleibt doch die selbe. Ein Selbst, dass sich in unterschiedlichen Facetten auffächert, in den Monitoren herumgeistert und gleichzeitig unterschiedliche Erfahrungen preisgibt. Gleichzeitigkeit und Vielstimmigkeit — Stimme und Gesicht lösen sich spätestens nach dem 3. Monitor von Heus eigener Persönlichkeit.
Wer wirst Du sein?
Auf dem Weg hinaus kommt man an einem Stapel von Büchern vorbei, die man gratis mitnehmen kann. In diesen Büchern sind alle Gespräche vollständig transkribiert. Das Layout ist dermaßen gestaltet, dass man das Buch während dem Lesen drehen muss, es sozusagen auf den Kopf stellt. Darin findet man auch einen Brief, in dem Heu schreibt, dass sich sie und ihr langjähriger Lebens- und Arbeitspartner von Cabula6, zwischen der Konzeptions des Projekts und dessen Realisierung, getrennt haben und dass diese Trennung das Projekt maßgeblich beeinflusst hat. Im ersten Moment erstaunt diese unerwartet persönliche Offenbarung, und entpuppt sich im weiteren zu einer sehr feinen politischen Fussnote. Zum einen zeigt es einen sehr achtsamen Umgang mit Autorenschaft und Ressourcen, da die Beiden das Projekt in seinen Grundzügen gemeinsam entwickelt haben; zum anderen gibt Heu, die in „Courage“ sehr persönliche Geschichten von anderen veröffentlicht, sich mit diesem Brief auch selbst preis. Es erinnert auch an die bildende Künstlerin Sophie Calles, deren Öffnung des intimen Raumes zu einem kollektivem Gefüge, mit, – wie sie selbst sagt -, dem Versuch einhergeht, sich selbst zu heilen. Durch die Bereitstellung und die Art und Weise der Übersetzung dieses sehr persönlichen Prozesses, können allerdings auch andere daran teilnehmen und auf besonderer Art (heilend) mit sich in Berührung kommen. Oder um mit Deleuze zu sprechen: „Alles ist singulär und dadurch gleichzeitig kollektiv und privat, besonders und allgemein zugleich“. Und genau das ist Claudia Heu, Lisa Hinterreithner, Roland Schmidt und Igor Dobricic in diesem Fall so gut gelungen. Die Feinheit der Setzungen zeigt eine besondere Sensibilität und ein tiefes zwischenmenschliches Verständnis. Die Installation hat nichts reisserisches und sensationslustiges. Sie erzeugt ein reflexives Innehalten. Verlässt man das Theater mit dem Technikeraufzug am unauffälligen Hinterausgang und gleitet zurück in das gesellschaftliche Treiben des Museumsquartiers, hat man das Gefühl ein einzigartiges und couragiertes Zwiegespräch geführt zu haben. Dass man mit dieser Linie zwischen Weinen und Lachen in Berührung gekommen ist, die unser Begehren und Werden bestimmt und irgendwo zwischen Fallen und Aufgefangen sein, immer neu entsteht.
Der freie Eintritt und das Buch, das jeder mitnehmen kann, verweist unaufdringlich auf den kollektiven, gemeinschaftlichen und integrativen Gestus des Projekts, von dem keiner ausgeschlossen ist und werden soll. Dieser Gestus ist auch im 2. Teil des Projekts zu finden: Auf den Infoscreens in den U-Bahn Stationen in Wien, werden diesmal die Fragen der Gespräche, als Untertiteln zu dem wechselnden Portrait von Claudia Heu, eingespielt. Es sind Fragen, die plötzlich durch den Alltag blitzen: „Wie bist Du gestorben? Wer wirst Du sein? Würdest Du es wieder tun?“ Es sind Berührungen, in denen unsere Geschichten in Bewegung geraten und Einladungen sich auf diese Bewegungen und Ereignisse einzulassen; sie zu durchleben, sich trotz und mit allem in ihnen als ein Werden einzunisten, um zu wachsen, anders zu werden.
„Courage“ spricht uns Mut zu. – Besteht ein Herz darauf ein Herz zu sein? Ja. Immer. Und immer wieder. Glücklicherweise. Hören wir darauf.
(9.6.2013)